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Deutsche Filmmusik


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Nachdem wir nun bereits ein Sammelthema zur italienischen (Genre-)Filmmusik und der Musik zu osteuropäischen Ländern haben, hat uns Angus Gunn vor einigen Monaten mit einem Thread über deutsche Fernsehfilmmusiken bereichert. Ich halte es für angebracht, auch ein Thema für die deutsche Kinofilmmusik zu eröffnen und hoffentlich zu befüllen. Jeder ist eingeladen, Filmmusik aus deutschen Landen hier vorzustellen und zu diskutieren. Ich mache mal den Anfang mit

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Die großen deutschen Filmmelodien

Die frühen Jahre des deutschen Tonfilms sind ein ebenso interessantes wie tragisches Kapitel. Kaum hatten die Bilder auch in Deutschland sprechen gelernt, sahen sich etliche Filmschaffende aus politischen Gründen gezwungen, Deutschland zu verlassen. Ein Berufsverbot für jüdische Schauspielerinnen und Schauspieler, Regisseure, Autoren und Komponisten schlug erhebliche Lücken in die zuvor blühende Filmlandschaft. Die allgemeine Darstellung der filmischen Entwicklung ist oft ebenso schwarzweiß geraten wie die Filme selbst: Das Weimarer Kino wird zu einer fortschrittlichen und grandiosen Kunstepoche erklärt, das deutsche Kino von 1933 bis 1945 als öder Sumpf platter Verwechslungskomödien und plumper Propagandafilme – eine Darstellung, die in Anbetracht solcher furchtbar langweiligen Weimar-Klamotten wie MORITZ MACHT SEIN GLÜCK ebenso wenig aufrecht erhalten werden kann wie Veit Harlans grandiosem OPFERGANG oder Helmut Käutners GROSSE FREIHEIT NR. 7. Auf der anderen Seite wird das NS-Kino auch gerne in Anbetracht einer Vielzahl von schillernden Revuefilmen und (propagandistisch aufgeladener) Kostümfilme gerne als „Traufabrik“ und dem amerikanischen Hollywoodfilm ebenbürtig angesehen. Wie immer liegt auch hier die Wahrheit in der Mitte und ist ein differenzierter Umgang mit der Materie erforderlich.

Die vorliegende Sammlung „Die großen deutschen Filmmelodien“ des Labels Capriccio vereint Musik aus dem Kino der Weimarer Republik, der NS-Zeit sowie dem west- und ostdeutschem Nachkriegsfilm. Die insgesamt 28 Filme sind jeweils mit einem Titel bedacht und bunt gemischt. Wie der Album-Titel schon erkennen lässt, liegt der Fokus auf dem melodischen Aspekt, sodass hier kaum Suiten der extradiegetischen Filmmusik, sondern hauptsächlich eingängige Filmschlager in instrumentalen Arrangements vertreten sind. Hinsichtlich des hohen Prozentsatzes der vertretenen Kompositionen aus der NS-Zeit ist das Album bedenklich unpolitisch gestaltet. Die jeweils eine Seite des Einlegers füllenden Begleittexte begnügen sich mit allgemein gehaltenen Angaben zum Stellenwert des Schlagers im frühen Tonfilm und einiger stilistischer Aspekte. Besonders peinlich wird es, wenn erwähnt wird, dass Komponist Werner Richard Heymann sogar Mitte der dreißiger Jahre für Hollywood gearbeitet hätte. Es ist fraglich, ob Heymann dies auch getan hätte, wenn er nicht bei der UFA seine Arbeit verloren und nicht hätte emigrieren müssen. Von Heymann ist dann ironischerweise kein einziger Titel in dieser Sammlung vertreten, stattdessen vereint sie Werke von Theo Mackeben und Georg Haentzschel, zu deren Filmmusiken bei Capriccio auch jeweils ein Sampler erschienen ist, sowie Franz Grothe und Walter Jurmann.

Fast sämtliche Stücke können der gehobenen Unterhaltungsmusik zugeordnet werden. Zwar werden die eingängigen Melodien oftmals durch einige Kniffe und die farbenreiche Orchestrierung vor der gefährlichen Schlingfalle der Banalität gewahrt, dem „Kenner“ bleibt allerdings genug Gelegenheit, die Nase über das hohe Kitschpotential zu rümpfen. Oftmals finden sich Anklänge an populäre Tanzformen wie die rassigen Tangorhythmen zu „Du bist nicht die Erste“ aus IHRE MAJESTÄT, DIE LIEBE und „Schade, dass die Liebe ein Märchen ist“ aus MELODIE DER LIEBE von Walter Jurmann, der wie viele seiner Kollegen 1933 das Land verlassen musste und über Paris nach Hollywood emigrierte. Die berühmte Melodie zu „Tränen in der Geige“ aus ICH WILL DICH LIEBE LEHREN, die auf dieser Kollektion bravourös von dem titelgebenden Instrument vorgetragen wird, gehört zu den Höhepunkten dieser Sammlung. Jurmann ist interessanterweise auch mit drei Titeln vertreten, die für amerikanische Produktionen entstanden sind. „In the spirit of the moment“ aus HIS BUTLER’S SISTER ist eine sentimentale Nummer, in der das getragene Thema über dem dezent durchschimmernden Habañera-Rhythmus vorgetragen wird und die fröhliche Tarantella „Cosi Cosa“ aus A NIGHT AT THE OPERA könnte tatsächlich als neapolitanisches Volkslied durchgehen. Die Titelmelodie aus MEUTEREI AUF DER BOUNTY trumpft anfangs mit einigen Exotismen in Form von schweren quintlastigen Blechakkorden und einem grollenden Tamtamschlag auf, bevor das energische Hauptthema vorgetragen wird. Dieses wird allzu schnell in eine allzu süßliche Violinmelodie transformiert und von exotisch anmutenden Holzbläsergirlanden umgarnt, bevor es sich noch einmal zu strotzendem Heroismus aufraffen kann.

Franz Grothe war ein Meister seines Fachs und seit 1930 für den Film tätig. Seine Musik zu ILLUSION beginnt mit traumhaft-entrückten Celesta- und Harfenakkorden einiger fragenden Holbzläserphrase, bevor das melancholische Thema erst zaghaft in den Streichern und anschließend einer Oboe über ein zartes Arpeggio der Harfe und mit Klaviertupfern garniert vorgetragen wird, bevor es in ganzer Pracht erblüht.

Von ganz anderem Charakter ist die Musik zur zweiten Revueszene des Marika-Röck-Vehikels DIE FRAU MEINER TRÄUME. Röck sollte als Nachfolgerin der emigrierten Marlene Dietrich als singende und tanzende Allzweckwaffe des Propagandaministeriums etabliert werden und durfte 1941 im allerersten abendfüllenden Farbfilm FRAUEN SIND DOCH BESSERE DIPLOMATEN die Hauptrolle spielen. Allerdings war das Agfacolor-Verfahren noch nicht zufrieden stellend ausgereift, sodass erst Veit Harlans GOLDENE STADT von 1942 einen technisch überzeugenden deutschen Farbfilm drehen konnte. Marika Röck erhielt dann eine „zweite“ Chance mit dem prachtvollen Revuefilm DIE FRAU MEINER TRÄUME, zu dem Grothe die Musik komponierte. Der knapp zweiminütige Auszug entspricht mit beschwingt synkopierter Melodie, dezenter Rhythmusgruppe und lässigen Bläsersätzen dem Archetyp vieler Revueszenen- und Komödienvorspannmusiken.

Nach dem Krieg blieb Grothe über zwanzig Jahre im Geschäft und vertonte mit ICH DENKE OFT AN PIROSCHKA einen der erfolgreichsten Nachkriegsfilme der BRD. Grothes Musik ist verhältnismäßig üppig in Form einer acht Minuten langen Suite vertreten. Dem schlichten Hauptthema, das die Suite als roter Faden durchzieht, wird eine vergnügte Melodie, der schon fast ein heiterer Marschcharakter attestiert werden kann, gegenübergestellt. Für das erforderliche Lokalkolorit für die in Ungarn angesiedelte Handlung sorgen mehrere Passagen mit „slawischem“ Einschlag, wahlweise als sentimentales Violinsolo oder robustem Volkstanz.

VERRAT AN DEUTSCHLAND ist die einzige Filmmusik, die Franz Grothe für Veit Harlan schrieb, der als einziger Regisseur der Menschheitsgeschichte wegen seiner Tätigkeit als Filmschaffender für das nationalsozialistische Regime vor Gericht gestellt wurde. Hauptgrund war der antisemitische Film JUD SÜSS, doch auch viele andere Filme Harlans, der ein äußerst begabter Karrierist war, sind infam propagandistisch. Beide Verfahren scheiterten und Harlan konnte schließlich in Deutschland wieder Filme drehen. Darunter auch VERRAT AN DEUTSCHLAND, der mir persönlich nicht bekannt ist, der sich aber nach allem, was ich darüber weiß, anscheinend in die unendliche Reihe von Rechtfertigungs- und Beschwichtigungsfilmen reiht, die nach dem Krieg in der BRD produziert wurden. Grothes Musik ist mit dem gefälligen „Valse Exotique“ vertreten, in dem vor allem pentatonische Anklänge und das Xylophon fernöstliche Stimmung verbreiten sollen. Der „Valse Exotique“ bietet vor allem wegen der durchsichtigen Instumentierung eine angenehme Abwechslung zu den sonst so süffigen Arrangements auf dieser CD.

Zu den Regisseuren, die ebenfalls für ihre Tätigkeit im so genannten „Dritten Reich“ hätten vor Gericht gestellt werden müssen, gehört neben Karl Ritter auch Wolfgang Liebeneiner, der neben zwei politisch gefärbten Bismarck-Biographien mit ICH KLAGE AN einen der perfidesten Propagandafilme der NS-Zeit gedreht hatte. Im Gegensatz zu Harlan kam Liebeneiner völlig unbescholten davon und drehte direkt fast direkt nach dem Krieg weiter. Ihm war 1956 mit DIE TRAPP-FAMILIE, einem vor Optimismus und Arbeitseifer strotzendem Wirtschaftswunderwerbefilm, einer der größten Erfolge des deutschen Nachkriegskinos beschieden. Franz Grothes Ouvertüre zum Film verquickt energische Marschklänge, barocke Sequenzmodelle und aristokratische Hochherrschaftlichkeit mit folkloristischen Einsprengeln und Anklängen an ein Wiegenlied zu äußerst turbulenten zwei Minuten.

Nicht selten wurden Filme aus der NS-Zeit in der BRD neu verfilmt, so auch Hans Deppes  DER KLEINE GRANZVERKEHR von 1943 nach dem gleichnamigen Buch von Erich Kästner, das Kurt Hoffmann als SALZBURGER GESCHICHTEN 23 Jahre später neu verfilmte. Die schlichte Titelmelodie wird äußerst pompös vom Orchester eröffnet und mit einem größeren Solopart für Klavier fortgeführt. Zu den weiteren nennenswerten Einfällen Grothes gehört neben einer kunstvoll für das Orchesterschlagzeug gesetzten Carillon-Varinate der Melodie von „Reich’ mir die Hand, mein Leben“ aus Mozarts Oper „Don Giovanni“ ein charmanter Walzer.

Die Musik wird mit wahlweise für Schmiss oder Schmalz von dem Kölner Rundfunkorchester unter der Leitung von Emmerich Smola, Heinz Geese und Klaus Arp dargeboten und bei aller Kritik an der völlig unreflektierten Präsentation: Capriccio hat hier eine wundervolle Sammlung eingängiger Melodien in hervorragenden Arrangements zusammengestellt. Einem möglichst abwechslungsreichen Hörfluss wurde offensichtlich der Vorzug vor einer chronologischen oder thematischen Anordnung der einzelnen Stücke gegeben.

Wenn man sich die 110 Minuten an einem Stück anhört, droht allerdings eine Überzuckerungsgefahr, außerdem muss ich gestehen, dass sich zumindest bei mir nach einer Weile auch vieles gleich anhört und man droht, unter all den säuselnden Streichern und beschwingten Blechbläsern schließlich den Überblick zu verlieren.

 

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Oh, das ist ja wieder was für mich!  Den vorgestellten Sampler kenne ich nicht. Es ist wirklich so, dass es sehr wenig Aufnahmen deutscher Filmmusik aus den 30er bis 50er Jahren gibt, und wenn dann wurden sie oft direkt der Filmtonspur entnommen. Von daher ist so eine CD schon eine lobenswerte Sache, auch wenn die Beschränkung auf Revuenummern, Schlagermelodien und seichten Orchesterschmalz (was hat eigentlich "Meuterei auf der Bounty" da verloren?) sicher zu wünschen übrig läßt. Es gäbe aus dieser Epoche noch viel mehr zu entdecken.

Wohlan, der erste Schritt ist getan. Es gibt viel zu tun...

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Ja, theoretisch gibt es viel zu tun, aber ich schätze nicht, dass da noch viel kommen wird. Ich werde noch zwei weitere Alben aus der Reihe von Capriccio vorstellen, die aber schon vor langer Zeit produziert wurde. Und was die Neueinspielung von Originalfilmmusiken angeht, sehe ich schwarz. Einmal sind zahlreiche Partituren im Krieg verloren gegangen (was würde ich für einen neu aufgenommenen OPFERGANG von Borgman geben...) und dann haben wir da ein riesiges idieologisches Problem. Wobei Capriccio die Sache ja auch nicht elegant gelöst hat mit dem kompletten Wegignorieren der politischen Umstände.

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vor 3 Stunden schrieb Angus Gunn:

Oh, das ist ja wieder was für mich!  Den vorgestellten Sampler kenne ich nicht. Es ist wirklich so, dass es sehr wenig Aufnahmen deutscher Filmmusik aus den 30er bis 50er Jahren gibt, und wenn dann wurden sie oft direkt der Filmtonspur entnommen. Von daher ist so eine CD schon eine lobenswerte Sache, auch wenn die Beschränkung auf Revuenummern, Schlagermelodien und seichten Orchesterschmalz (was hat eigentlich "Meuterei auf der Bounty" da verloren?) sicher zu wünschen übrig läßt. Es gäbe aus dieser Epoche noch viel mehr zu entdecken.

Zunächst mal: Diese 1997er Doppel-CD "Die grossen Filmmmelodien" ist eigentlich nur eine Best Of-Compilation aus vier Einzel-CDs, die Capriccio zuvor zwischen 1992 und 1997 veröffentlicht hatte. Diese vier CDs waren jeweils einem deutschen Filmkomponisten gewidmet: Franz Grothe (1992), Georg Haentzschel (1993), Theo Mackeben (1995) und Walter Jurmann (1997).

Hier diese vier CDs:

https://www.discogs.com/de/Franz-Grothe-Filmmusik/release/7215705

http://www.soundtrackcollector.com/title/98844/Georg+Haentzschel+Filmmusik

http://www.soundtrackcollector.com/title/96207/Tanz+Auf+Dem+Vulkan%2C+Der

https://www.naxos.com/catalogue/item.asp?item_code=C10737

Die CDs wurden alle mit dem Kölner Rundfunkorchester, meist unter Leitung von Emmerich Smola, der etwa manche der Grothe und Haentzschel-Suiten auch schon in den 70ern für Rundfunkaufnahmen dirigiert hatte, eingespielt. Originalaufnahmen solcher Scores aus der Zeit der 30er und 40er - wenn wir mal nur von rein instrumentaler Filmmusik reden - gibt es ja ohnehin so gut wie keine mehr.

Bei dem Stück aus MUTINY ON THE BOUNTY ist Capriccio damals ein ganz gewaltiger Schnitzer unterlaufen. Die haben nämlich versehentlich das bekannte Liebesthema "Follow Me" aus der 1962er-Fassung von Kaper in einem Easy Listening-Arrangement eingespielt anstatt dem Song "Love Song of Tahiti", der richtigerweise von Jurmann/Kaper für die 1935er-Filmversion (die eigentliche Filmmusik stammte von Herbert Stothart) komponiert worden war. Hier der richtige Song von 1935 in einer Aufnahme mit Max Raabe:

 

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vor 1 Stunde schrieb Mephisto:

Ja, theoretisch gibt es viel zu tun, aber ich schätze nicht, dass da noch viel kommen wird. Ich werde noch zwei weitere Alben aus der Reihe von Capriccio vorstellen, die aber schon vor langer Zeit produziert wurde. Und was die Neueinspielung von Originalfilmmusiken angeht, sehe ich schwarz. Einmal sind zahlreiche Partituren im Krieg verloren gegangen (was würde ich für einen neu aufgenommenen OPFERGANG von Borgman geben...) und dann haben wir da ein riesiges idieologisches Problem.

Borgmanns großartigen OPFERGANG würde ich auch sofort kaufen, wenn es davon je eine Neueinspielung auf CD geben würde. Aber das wird wohl für immer nur eine Utopie bleiben wie vieles andere ältere aus europäischen Landen, das erstens kaum mehr jemand kennt und zweitens so gut wie niemand überhaupt kaufen würde. Von daher auch Null Interesse seitens der Filmmusik-Labels oder der Dirigenten.
Bei Borgmann ist es wohl zudem sehr zweifelhaft, ob irgendein Nachlass vorhanden ist. Im Internet findet sich jedenfalls dazu keinerlei Hinweis. Dagegen sind bei anderen deutschen Filmkomponisten der 40er oder 50r Jahre durchaus viele handschriftliche Partituren ihrer Filmmusiken noch erhalten, so etwa bei Werner Eisbrenner, Norbert Schutlze, Wolfgang Zeller oder Mark Lothar, selbstverständlich auch bei jemandem wie Hans-Martin Majewski. Nur eben - außer im Falle Majewskis, der aber eben auch seinen eigen Musikverlag hatte - keine Originalbänder ihrer Filmmusiken mehr. Von Zeller befinden sich die Partituren im Deutschen Filminstitut in Frankfurt, von Lothar in der Münchner Stadtbibilothek, von Eisbrenner und Schultze im Deutschen Komponistenarchiv in Hellerau bei Dresden.
Im Falle Lothar - einer der bemerkenswertesten und anspruchsvollsten deutschen Filmkomponisten der 50er - habe ich selbst mal nachgefragt nach Bändern - es sind zwar von seinen klassischen Werken und von Hörspielen Bänder da, aber leider so gut wie nichts von seinen Filmarbeiten. Sehr, sehr schade. Da läßt sich deshalb leider auch gar nichts verwirklichen auf CD. Sonst wären wir bei Alhambra in der Beziehung längst eingestiegen.
Auch im Falle Zellers sind in Frankfurt keinerlei Bandaufnahmen vorhanden, nur eben die Originalpartituren (eigentlich alle außer JUD SÜSS, die er wohl selbst vernichtet hatte gleich nach dem Krieg). Von daher ein echter Glücksfall, daß die Originalbänder von Zellers SERENGETI von 1959 überhaupt noch bei den Grzimeks in Frnakfurt archiviert waren.

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vor 6 Stunden schrieb Stefan Schlegel:

Auch im Falle Zellers sind in Frankfurt keinerlei Bandaufnahmen vorhanden, nur eben die Originalpartituren (eigentlich alle außer JUD SÜSS, die er wohl selbst vernichtet hatte gleich nach dem Krieg).

Naja, gut, aber das würde ja nun auch niemand neu einspielen wollen, ebenso wie Willy Schmidt-Gentners HEIMKEHR, wobei der eine fantastische Titelmusik hat - könnte glatt von Max Steiner sein. Von Schultzes härtesten Propagandamusiken KOLBERG und ICH KLAGE AN hat auch nichts mehr überlebt bis auf ausgekoppelte diegetische Musik (das "Lied am Webstuhl" sowie das "Trio").

Aber klar, solche Sachen wie OPFERGANG wären der absolute Wahnsinn, nur habe ich bisher auch noch keinerlei Hinweise auf Partituren von Borgmann entdecken können. Aber keine Sorge, Majewski und der besagte Zeller werden hier natürlich auch noch bedacht ;).

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vor einer Stunde schrieb Mephisto:

Naja, gut, aber das würde ja nun auch niemand neu einspielen wollen

Warum eigentlich?  Ja, es würde möglicherweise  aus der einen oder anderen Ecke Empörung hervorrufen, aber selbst in unseren hypersensiblen Zeiten kann ich mir nicht vorstellen, dass die Neu-Einspielung einer Filmpartitur Anlaß für größere Turbulenzen gäbe, selbst wenn es sich dabei um JUD SÜSS (sehr guter Score im übrigen) und andere Vorbehalts- und Propagandafilme handeln würde. Im Gegenteil würde ich sogar einen erheblichen Werbeeffekt prophezeien. Über die geschichtlichen Begleitumstände ließe sich dann ja in einem Booklet aufklären. Also ich sehe da überhaupt keine Bedenken.

OPFERGANG muß ich mir mal anschauen, wenn der hier so angepriesen wird.

 

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vor 5 Stunden schrieb Mephisto:

Von Schultzes härtesten Propagandamusiken KOLBERG und ICH KLAGE AN hat auch nichts mehr überlebt bis auf ausgekoppelte diegetische Musik (das "Lied am Webstuhl" sowie das "Trio").

KOLBERG hatte ich mal vor Jahren gesehen und empfand die Musik im Film doch reichlich grobschlächtig - auch der Film selbst ist natürlich unsäglich - und sie hat mir kaum zugesagt. Würde mich auf Tonträger deshalb gar nicht unbedingt reizen. Dagegen schätze ich viel mehr Schultzes SYMPHONIE EINES LEBENS von 1942 - das dürfte wohl seine beste und außergewöhnlichste Filmmusik überhaupt sein, wo es ihm der Film tatsächlich erlaubte, sozusagen eine richtige viersätzige Sinfonie mit leichten Bruckner-Anklängen zu komponieren.
Schultze hat allerdings in einem Interview aus den 90ern für den FM-Dienst betont, daß die Partitur davon leider nicht mehr existiere - die von KOLBERG offenbar auch nicht mehr - und er alles nochmals von neuem niederschreiben müßte anhand eines TV-Mitschnitts des Films, den er selbst hatte. Dazu wird es aber bis zu seinem Tod im Jahr 2002 sicherlich nicht mehr gekommen sein.

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vor 4 Stunden schrieb Angus Gunn:

Ja, es würde möglicherweise  aus der einen oder anderen Ecke Empörung hervorrufen, aber selbst in unseren hypersensiblen Zeiten kann ich mir nicht vorstellen, dass die Neu-Einspielung einer Filmpartitur Anlaß für größere Turbulenzen gäbe, selbst wenn es sich dabei um JUD SÜSS (sehr guter Score im übrigen) und andere Vorbehalts- und Propagandafilme handeln würde. Im Gegenteil würde ich sogar einen erheblichen Werbeeffekt prophezeien. Über die geschichtlichen Begleitumstände ließe sich dann ja in einem Booklet aufklären. Also ich sehe da überhaupt keine Bedenken.

Wie gesagt, sowohl von JUD SÜSS wie auch von KOLBERG existieren ja keine Partituren mehr. Insofern wird es schon allein deshalb - mal ganz abgesehen von den starken ideologischen Bedenken - sowieso nie eine Neueinspielung davon geben.

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Ich hatte vor über 20 Jahren mal die Gelegenheit, Jud Süß in einer kommentierten Aufführung sehen zu können, dazu ratterte uraltes Bandmaterial im Projektor. Wenn ich micht recht entsinne, gibt es in der Titelmusik ein hebräisches Thema in einem großsymphonischen Gewand a la Wagner. Das neu aufzunehmen wird - wohl mit recht - niemand in Angriff nehmen wollen.

Was ich mir persönlich wünschen würde, wäre eine Aufnahme von Werner Bochmanns launiger Partitur zur Feuerzangenbowle.

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Ohne dieses Fass jetzt komplett aufmachen zu wollen: Der Umgang mit dem NS-Filmerbe in Deutschland ist kritikwürdig, geradezu peinlich. Offensichtliche Propaganda wird weggesperrt oder nur in kommunalen Kinos mit einem Einführungsvortrag aufgeführt, in der dann ein Referent darauf hinweist, dass gleich ein Nazi-Film zu sehen ist, und anschließend sieht man die Hakenkreuze auf der Leinwand.

Filme, die nicht so offensichtlich mit Symbolen arbeiten, wurden ohne große Probleme weitervertrieben und sind zuhauf auf DVD veröffentlicht. Notfalls hat man einfach Hakenkreuze und Hitlergrüße rausgeschnitten, um weiter Geld mit den Filmen zu verdienen. Ich habe ja mal im Film-Thread hier DIE UMWEGE DES SCHÖNEN KARL besprochen:

DIE UMWEGE DES SCHÖNEN KARL (1938) oder: Demokratisches Chaos, entartete Kunst und Negermusik in der Weimarer Republik

Heinz Rühmann gehörte zu den absoluten Stars des Kinos des Dritten Reiches. Ein Film mit Rühmann fing mehrere finanzielle Pleiten desselben Studios auf und garantierte einen Publikumserfolg. In DIE UMWEGE DES SCHÖNEN KARL spielt Rühmann einen pfiffigen Kellner, der sich mit einer Anstellung in Berlin mehr vom Leben erhofft und von dem Eintritt in die große Gesellschaft träumt.

Also einer der unzähligen Unterhaltungsfilme, die weitab von der bösen Goebbels-Propaganda sind und auch heute noch jung und alt erfreuen? Die FSK dürfte das so gesehen haben, als sie diesen Film ab sechs Jahren freigab. Ich sehe das nicht so. Stutzig macht direkt die erste Texteinblendung: "Eine Kellnergeschichte aus dem Jahre 1930". Warum 1930? Die Geschichte um den kleinen Kellner mit großer Klappe könnte doch auch in dem Jahr spielen, in dem er gedreht wurde. Die Antwort liegt auf der Hand: Es geht maßgeblich darum, das vergangene demokratische Regime zu diffamieren. Dies tut man am Besten, indem man dem sympathischen Protagonisten geeignete Antagonisten gegenüberstellt. Karl Kramer gelingt bald der Zutritt in die höheren Kreise Berlins: Als er eines Abends im Tiergarten einen Unhold befreit, der einer Dame die Handtasche stehlen will, entpuppt sich das Opfer als Tochter des Reichstagsabgeordneten der (fiktiven "freisinnigen Wirtschaftspartei"). Der Film lässt sich ungewöhnlich Zeit, die Abendgesellschaften des Herrn Donon zu schildern.

Hier wird keine Gelegenheit ausgelassen, die Politiker als habgierig, unehrlich und korrupt zu diffamieren. Stets uneinig bringen die Herren nichts voran (=Demokratie) und beschäftigen sich hauptsächlich mit Verordnungen für Bademode, um der Industrie in die Tasche zu spielen. Die (damals noch nicht gleichgeschaltete) Presse wird dabei von den einzelnen Parteien als Druckmittel ausgenutzt. Doch damit nicht genug: Der Film lässt es sich nicht nehmen, die Gesellschaft mit einem lesbisch anmutenden Pärchen zu bevölkern, das moderne Inszenierungen (Romeo im Frack, Julia im Schlafanzug - anders könne man das doch gar nicht mehr inszenieren) diskutiert. Auch die modernen Skulpturen im Salon werden natürlich mit dummen Plattitüden kommentiert ("Alles mehr Klang und Farbe als Gestalt."), um die Anhänger der "entarteten Kunst" als pseudo-intellektuelle Hohlköpfe zu diffarmieren.

Wirklich schlecht wird einem zu einem späteren Zeitpunkt des Films, als Karl Kramer aus der Haft entlassen wird, in die er irrtümlich geraten ist, weil sein Kollege krumme Geschäfte gemacht hat. Seiner besorgten Verlobten sagt er: "Das kann schonmal sein, dass sie einen unschuldig einsperren, aber dann müssen sie einen ja auch wieder rauslassen." Das grenzt schon fast an Verhöhnung der Regime-Opfer, wenn dem Publikum 1938 im Kino gesagt wird, es könne ja schonmal sein, unschuldig eingesperrt zu werden. Die Nazis waren da ja zu jeder Zeit ihrer Herrschaft großzügig, mit dem Rauslassen haben sie's dann aber nicht so genau genommen.*

Rassismus kommt ebenfalls nicht zu kurz: "Woher kommt der Herr?" - "Aus Hinterpommern." - "Ja, richtig, das sieht man den Leuten ja sofort an, wo sie herkommen."

Letzten Endes wird natürlich alles gut, Karl weiß, wo sein Platz ist und wo er hingehört, dafür bekommt er aber auch das arische Mädel und nicht die dunkelhaarige Dame mit dem ausländischen Namen. Drei Jahre nach der Filmhandlung wird sowieso alles besser: Man wird im Reichstag aufräumen, die Jazzmusik abstellen, die Museen bereinigen, die Presse gleichschalten und nach Lust und Laune Leute verhaften...vielleicht ja auch wieder rauslassen.

 

DIE UMWEGE DES SCHÖNEN KARL waren für mich mal wieder ein schöner Beweis, dass man eben nicht bei scheinbar harmloser Unterhaltung das Hirn ausschalten sollte. Ich werde es mir jedenfalls massiv überlegen, ob ich diesen Film mit einem sechsjährigen sehen werde...wahrscheinlich aber nicht.

 

*Diesbezüglich gibt es aus demselben Jahr auch den Film VERWEHTE SPUREN, in dem ernsthaft darüber diskutiert wird, die Protagonistin in Schutzhaft (!) zu nehmen, um der Panik einer eventuellen Epidemie vorzusorgen. Harlan hatte sich in seinem Streifen MEIN SOHN, DER HERR MINISTER bereits ausgiebig über die Demokratie als unfähiges System lustig gemacht. 1940 hetzte er in einem der berühmtesten Filme des Dritten Reiches, JUD SÜSS, gegen Juden, und rief mit dem Film KOLBERG kurz vor Kriegsende zum Volkssturm auf, natürlich alles gegen seinen Willen und unter Zwang des Propaganda-Ministers...

Das "Verbot" von Propagandafilmen dieser Zeit ist durch das Internet ohnehin obsolet geworden. Wer es unbedingt darauf anlegt, hat JUD SÜSS als DVD im Regal. Wer auf solche Sammler-Dinge keinen Wert legt, guckt sich eine der zahlreichen Fassungen auf youtube an. Ich bin absolut gegen Verbote und dafür, diese Dokumente verfügbar zu machen. Denn so bildet sich um diese Streifen auch ein unverdientes Mysterium. Mehrere Leute, mit denen ich mal JUD SÜSS gesehen habe, waren nach dem Film ganz ernüchtert, dass es sich bei dem Streifen einfach "nur um einen Historienfilm mit einigen jüdischen Karrikaturen" handelt und nicht eben das hypnotische, sagenumwobene "subtile filmische Gift".

Ich finde aber, dass ein großer Unterschied zwischen der Aufbereitung vorhandener Filmmaterialien (zumal die Murnau-Stiftung ja über ein JUD-SÜSS-Digitalisat für Bildungszwecke verfügt) und der Neueinspielung solcher Musiken besteht - selbst wenn Gentners HEIMKEHR-Partitur noch irgendwo existiert. Also da kann ich vollkommen verstehen, dass da nie was kommen wird - und man darf sich auch zurecht aufregen, wenn so etwas getan worden wäre.

Ja, die Titelmusik zu JUD SÜSS präsentiert ein schweres, gewichtiges Blechthema, bevor dann die Streicher nur einen Liegeton aushalten, über den jüdischer Gesang einsetzt. Es ist wahrscheinlich, dass dieser Gesang wirklich von einem jüdischen Geistlichen intoniert wurde. Während beim Vorspann "Musik: Wolfgang Zeller" eingebllendet wird, blendet ja auch der schwarze Hintergrund kurz auf und man sieht den Darsteller des Rabbis aus dem Film in einer Tempelanlage singen (Er singt ja später auch beim "Einzug der Juden" in Stuttgart). Vielleicht war er das im Vorspann auch. Fakt ist jedenfalls, dass Harlan die Dreharbeiten tatsächlich mit jüdischen Ghettobewohnern als Staffage durchgeführt hat. 

Der Gesang kollidiert dann ja auch mit dem erneut einsetzenden Blechthema, das schließlich durchbricht, bevor dann "All mein' Gedanken, die ich hab'" sanft in den Streichern und der Flöte einsetzt. Dieses Lied fungiert ja als Liebesthema für das "reine, arische" Paar und wird von Kristina Söderbaum und Malte Jaeger musiziert. Diese Musik, vor allem die Nachbildung des Gesangs eines für die Dreharbeiten ausgebeuteten jüdischen Darstellers, der das "Dritte Reich" wahrscheinlich nicht überlebt hat, von einem "Fachmann" nachstellen zu lassen, wäre mehr als zynisch und Empörung mehr als angebracht.

Der Filmhistoriker Hans Schmid hat mit seiner Artikel-Reihe "Das Dritte Reich im Selbstversuch" zahlreiche hervorragende Analysen vieler Vorbehaltsfilme und vor allem dem peinlichen Umgang mit diesem Filmerbe im Nachkriegsdeutschland verfasst:

https://www.heise.de/tp/features/Der-Fuehrer-ist-sehr-eingenommen-3381348.html

https://www.heise.de/tp/features/Schuldspruch-fuer-einen-Film-3381350.html

An dieser Stelle aber auch mal ein (seltenes) Lob an die Murnau-Stiftung: deren Veröffentlichung von OPFERGANG ist vortrefflich geraten! Die Blu-Ray sieht fantastisch aus und vor allem enthält die Ausgabe zwei unterschiedliche Schnittfassungen des Films! So etwas würde ich mir für zahlreiche Filme dieser Epoche zu Studienzwecken wünschen.

 

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Theo Mackeben gehörte zu einem der profiliertesten Komponisten im „Nicht-E-Musik-Bereich“ der 30er- und 40er-Jahre. Mackeben, der sich nach dem Studium erst als Pianist etablierte, gelang rasch der Aufstieg ins Dirigentenfach und leitete 1928 die Uraufführung der Dreigroschenoper. Während der Zeit des so genannten „Dritten Reiches“ komponierte Mackeben die Musik zu zahlreichen Spielfilmen, aber auch musikalische Lustspiele. Außerdem komponierte Mackeben neben einem Klavierkonzert und zahlreichen Schauspielmusiken auch die beiden bis heute nicht aufgeführten Opern „Manuela“ und „Rubens“ sowie ein „Hiob“-Oratorium. Das Label Capriccio hat den Komponisten mit einem Album geehrt, auf dem Auszüge aus neun Spielfilmen und zwei Operetten vertreten sind. Auch hier muss man wieder das sehr naive Begleitheft kritisieren, das vom Berlin der 30er-Jahre zynischerweise das Bild einer vor unterschiedlichen kulturellen Strömungen sprühenden Metropole zeichnet. Das trifft höchstens auf die ersten drei Jahre des Jahrzehnts zu…

Bei der Anordnung der einzelnen Ausschnitte wurde nicht auf Genre oder Entstehungszeit der Filme geachtet, sondern ein buntes Potpourri zusammengestellt. Für DAS MÄDCHEN IN WEISS, einem im zaristischen Russland angesiedelten Historienfilm, komponierte Mackeben 1936 das Lied „Ich bin auf der Welt, um glücklich zu sein“ im mäßigen Dreivierteltakt, das auf der CD mit einer zuckersüßen Instrumentalvariante inklusive Glockenspiel und dezenter Schlagzeugbegleitung zu hören ist.

Im Gegensatz zu seinen karrieristischen Kollegen Veit Harlan, Wolfgang Liebeneiner und Gustav Ucicky war Regisseur Karl Ritter ein Nationalsozialist der ersten Stunden. Bereits 1925 der NSDAP beigetreten, produzierte er im Jahr der „Machtergreifung“ HITLERJUNGE QUEX und inszenierte in den folgenden zwölf Jahren zahlreiche vor nationalsozialistischer Ideologie strotzende Filme, darunter die mit beeindruckenden Luftkampfszenen aufwartenden Filme STUKAS und POUR LE MÉRITE und weitere Propagandafilme wie KADETTEN, IM KAMPF GEGEN DEN WELTFEIND, LEGION CONDOR sowie …ÜBER ALLES IN DER WELT. Auch der 1937 von Ritter inszenierte Film PATRIOTEN über einen in Frankreich abgestürzten deutschen Flieger, der sich einer französischen Schauspieltruppe anschließt, ist ein eindeutig politisch motivierter Film. Die Hauptrolle spielt Mathias Wiemann, der sich drei Jahre später in der Rolle des Kinderarztes Dr. Bernhard Lang in Liebeneiners ICH KLAGE AN! für die Euthanasie begeistern lässt.

PATRIOTEN kann in Hinblick auf Ritters, Wiemanns und Mackebens Schaffen als unbedeutend eingestuft werden, dennoch enthält die CD einen knappen Auszug aus der Musik, nämlich das Marschlied „Paris, Du bist die schönste Stadt der Welt“ im hüpfenden 6/8-Takt in einer schmissigen Interpretation.

In TANZ AUF DEM VULKAN spielt Gustav Gründgens die historische Figur des Schauspielers Jean-Gaspard Deburau, einem der interessantesten Filmprojekte des NS-Star-Regisseurs Hans Steinhoff, der sich auch für Propagandafilme wie HITLERJUNGE QUEX, OHM KRÜGER und ROBERT KOCH verantwortlich zeichnete und die erste GEIERWALLY drehte. Bei Goebbels stieß TANZ AUF DEM VULKAN auf Missfallen, der von Mackeben komponierte Schlager „Die Nach ist nicht zum Schlafen da“ soll ihm gar nicht gefallen haben. Die CD enthält allerdings keine Instrumentalversion des Schlagers, sondern mit der sechsminütigen „Ballettszene“ die Musik zu einer Schlüsselszene des Films. Das äußerst elegante Walzerthema hat dabei ebenso viel Ohrwurmpotential wie viele andere Schlagermelodien aus Mackebens Feder und gehört in diesem anmutigen Arrangement zu den Höhepunkten der Kollektion.

Das im selben Jahr entstandene und in einer kleinen wilhelminischen Stadt angesiedelte Melodram HEIMAT ist stark propagandistisch gefärbt. Heute dürfte es vor allem wegen der abstrusen Interpretation einer Arie aus Bachs Matthäus-Passion durch Zarah Leander von Interesse sein. Mackeben, der für Leander mehrere berühmte Schlager komponierte, durfte hier das schwungvolle Walzerlied „Eine Frau wird erst schön durch die Liebe“ auf das dunkle Timbre der Schwedin schneidern. Auf der CD außerdem das ebenfalls von Leander interpretierte Lied „Drei Sterne sah ich scheinen“ enthalten. Die schlichte Weise gehört zu den schönsten Tonschöpfungen auf dieser Kollektion und brilliert durch das stimmungsvolle Arrangement, dem das Cembalo als Begleitinstrument für die solistischen Bläser und die Solovioline der Musik einen zerbrechlichen Anstrich verleiht, während die Streicher anschließend in dunklen Farben aufblühen.

Das Verhältnis zum Jazz im nationalsozialistischen Deutschland war äußerst ambivalent. Zwar diese Musikrichtung als „entartet“ diffamiert und verboten worden, auf der anderen Seite lassen sich in der Unterhaltungsmusik dieser Zeit zahlreiche Jazz- und Bigband-Einflüsse ausfindig machen. In dem Film Käutner-Film WIR MACHEN MUSIK darf Ilse Werner sogar als Frontfrau einer weiblichen Jazzcombo brillieren.

Teilweise wurde sogar offensichtlich auf Formen und Tänze der amerikanischen Unterhaltungsmusik zurückgegriffen wie im Falle des „Foxtrott“, den Mackeben für die Satire BEL AMI komponierte. Das zwei Minuten lange und pompös eingeleitete Stück wartet mit einer gefälligen Melodie und einem beschwingten Grundgefühl auf.

1940 erlebte das musikalische Lustspiel „Anita und der Teufel“ seine Uraufführung. Das Lied „Bei Dir war es immer so schön“ gehört neben der Ballett-Musik aus TANZ AUF DEM VULKAN zu den schönsten melodischen Einfällen auf dieser Kollektion. Von der zurückhaltenden Rhythmusgruppe begleitet und auf sanfte Streichertöne gebettet, erklingt das Thema zuerst in der von der Flöte umgarnten Oboe und wird anschließend von den Violinen ausgespielt. Nach einem kurzen Mittelteil erklingt es noch einmal in der Trompete.

„Amorcito mio“ versprüht mit rumbahnlichen Bongorhythmen, Claves und dem Bandoneon als Soloinstrument angenehm exotisches Flair. Auch hier bewegt sich alles in der angemessen zahmen Beschwingtheit, an keiner Stelle wird es richtig feurig.

Im selben Jahr wie „Anita und der Teufel“ komponierte Mackeben auch die Musik zum Historienfilm DAS HERZ DER KÖNIGIN mit Zarah Leander als Maria Stuart. Der Film, der auf propagandistischer Ebene hauptsächlich antibritische Tendenzen enthält, wurde ein Misserfolg und wird zu den schwächsten Leander-Filmen gezählt. Theo Mackeben komponierte für den Film insgesamt fünf Lieder, von denen er drei für eine orchestrale Fantasie auswählte. Die „Fantasie über drei Lieder“ beginnt schwelgerisch mit der Melodie aus „Wo ist Dein Herz?“ und mündet in von Streichergirlanden umsponnenen Blechfanfaren. Die Melodien zu „Ein schwarzer Stein“ und dem „Schlummerlied“ werden als gefühlvolle Violinsoli vorgetragen, an die jeweils zwei höfisch anmutende Passagen erklingen. Eine Reprise der schwelgerischen Darbietung von „Wo ist Dein Herz“ beschließt das Stück.

Neben triefenden Propagandafilmen inszenierte Karl Ritter auch einige heitere Filme, so auch den 1000. Film der UFA: BAL PARÉ. Für die im Wien um die Jahrhundertwende spielende Handlung konnte Mackeben zahlreiche Walzermelodien und –lieder komponieren. Die Walzersuite „Münch’ner Geschichten“ ist ein klingendes Fest im Dreivierteltakt.

Der heitere Schlager „Frauen sind keine Engel“ aus dem gleichnamigen Film von 1943 beginnt mit einer sentimentalen Einleitung auf, bevor die gefällige Melodie von süffigen Violinen über die dezente Begleitung der Rhythmusgruppe erklingt.

Das Album beschließt mit einer Nummer aus Mackebens vorletzter Operette „Der goldene Käfig“: einem „Walzer der Freunde“, der mit seiner von Harfenglissandi durchzogenen Walzermelodie einen gelungenen Abschluss dieses Albums bildet. Insgesamt lohnt sich diese CD für alle, die an süffig arrangierten eingängigen Melodien ihre Freude haben. Dieses Album kann auch gut nebenbei beim Aufräumen, Kochen, Essen etc. laufe lassen oder man gibt sich eine Stunde dem Genuss all dieser duftenden musikalischen Parfümwolken hin – aber Vorsicht! Irgendwann wird man doch ein bisschen benebelt von all dem Wohlklang.

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vor 14 Stunden schrieb Mephisto:

Aber klar, solche Sachen wie OPFERGANG wären der absolute Wahnsinn, nur habe ich bisher auch noch keinerlei Hinweise auf Partituren von Borgmann entdecken können.

Kurioserweise habe ich im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek eine 78er-Schellackplatte ausfindig machen können, die auf dem Electrola-Label erschienen ist - aber sicher nicht offiziell auf den Markt kam - und sich "Besuch bei Hans-Otto Borgmann" nennt. Auf der A-Seite ist da doch tatsächlich auch ein wohl kurzer Track aus OPFERGANG enthalten neben VERWEHTE SPUREN (von 1938) und dem für Pola Negri komponierten Lied "Mein Herz hat Heimweh" aus dem 1936er-Film MOSKAU-SHANGHAI:
https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&cqlMode=true&reset=true&referrerPosition=0&referrerResultId=idn%3D38014669X%26any&query=idn%3D380146681

Das Ganze soll vom FFB Orchester Berlin unter Borgmanns Leitung aufgenommen worden sein, wenn die Angaben auf der verlinkten Seite wirklich stimmen. Müßte demnach - denn das FFB Orchester wurde doch erst einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet - eigentlich eine Aufnahme aus den 50ern sein. Einfach unglaublich. Mir ist diese Schellackplatte ein absolutes Rätsel, zumal eine 78er-Plattenseite doch kaum eine längere Spielzeit als rund 5 Minuten aufweisen kann.
Auf der B-Seite sollen außerdem Auszüge aus Borgmanns Filmmusiken zu Harlans GOLDENE STADT und zu TANGO NOTTURNO von 1937 (mit dem gleichnamigen Lied für Pola Negri) enthalten sein.

 

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Wahnsinn!! Diese Originalaufnahmen sind mir noch nie untergekommen. Ich frage mich, ob man das Album auch auf CD irgendwo bestellen kann... und vor allem, wo die die Aufnahmen her haben!

Ich würde natürlich einiges dafür geben, endlich einmal die Musik zum "Strandausflug" am Besten in einer Neueinspielung zu haben:

Eine der (zahlreichen) stärksten Szenen des Films, in der sich die merkwürdige Entrücktheit von OPFERGANG auch gerade in der Musik manifestiert. Ein einfacher Ausritt am Strand bekommt plötzlich eine mythologische Dimension. Wenn man bedenkt, dass der Film letzten Endes "nur" eine Dreiecksliebesbeziehung in der höheren Gesellschaft Hamburgs schildert, kann man kaum glauben, was Borgmann für dieses opulente Melodram geschrieben hat. Aber die absolute Überhöhung des Melodramatischen war ja Harlans Stärke und auch seine besondere Vorliebe.

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vor 11 Stunden schrieb scorefun:

Bei Spotify gibt es ein Album mit zwei Tracks (9 und 10) vom OPFERGANG...

Bzw. auch auf YT...

Besten Dank für diesen Hinweis, Ralf. Schon faszinierend, was heutzutage im mysteriösen Unterholz aufgrund der Public Domain-Rechtelage solcher älterer Musiken hier in Europa plötzlich auftaucht. Das ist in der Tat die Originalaufnahme - wenn auch weder Main Title noch eines der repräsentativsten Stücke mit ekstatischer Vokalise und Choreinsatz mit dabei ist -, aber doch nicht einfach nur wie sonst meist üblich von der DVD oder Blu-Ray gerippt bei den Stellen, wo kein Dialog im Film vorkommt.
Die Suite besteht aus zwei Tracks, wobei ich leider den ersten im Film absolut nicht zuordnen kann und mich frage, ob der überhaupt auftaucht oder eventuell ein "Outtake" ist. Der zweite ab Minute 1:40 dagegen untermalt im Film eine reine Dialogszene, die dann in das Maskenfest übergeht. Hier im Film ist genau diese Musik zu hören ab Minute 41:55:

Es kann daher fast nicht anders sein, als daß irgendein älterer deutscher Privatsammler tatsächlich im Besitz vom ein oder anderen Azetat der OPFERGANG-Musik ist und das transferiert hat für dieses digitale Album. Ich habe die anderen Filmmusiken auf dem Album noch nicht überprüft - die beiden Majewski-Stücke könnten auch vom Alhambra-CD-Set kommen und wieder andere direkt von den Filmen gerippt -,  aber zumindest bei OPFERGANG muß irgendwelches  - wenn auch wahrscheinlich nur fragmentarisches - Originalmaterial im Privatbesitz vorhanden sein.

Dieselbe Person hat übrigens auch die "Source Music" von Borgmann fürs Maskenfest hochgeladen und auch da ohne irgendwelche Nebengeräusche oder Dialoge. Das ist im Prinzip nur dann möglich, wenn derjenige im Besitz von Azetaten der Originalaufnahme ist:

 

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vor 3 Stunden schrieb Mephisto:

Wahnsinn!! Diese Originalaufnahmen sind mir noch nie untergekommen. Ich frage mich, ob man das Album auch auf CD irgendwo bestellen kann... und vor allem, wo die die Aufnahmen her haben!

Nein, als CD gibt es das nicht, nur als digitales Album - auch bei Amazon etwa:

https://www.amazon.de/dp/B01LWOGC5L/ref=sr_1_2_rd?_encoding=UTF8&child=B01LXZE9C9&qid=1530777932&sr=1-2</a>

Ist auch völlig logisch warum: Erstens ist es für die ein oder zwei Privateleute, die dahinter stecken und die das hochgeladen haben, natürlich viel zu teuer und verlustreich, davon auch noch eine teure CD pressen zu lassen, die dann ganz wenig Abnehmer finden wird, und zweitens ist all das, was da oben ist, ja nirgends lizenziert worden. Wenn man das eben so als Download auf den diversen digitalen Plattformen anbietet, merkt das ja eh niemand, ob das nun alles rechtlich einwandfrei ist oder nicht. Schert ja keinen Menschen dort - vor allem nicht bei diesen ganz alten Titeln, wo jeder gerade machen kann, was er will.

Übrigens kommen die beiden Majewski-Titel OHNE DICH WIRD ES NACHT und WEG OHNE UMKEHR auf dem digitalen Album von der Bertelsmann-10"-LP von 1957. Ist allein schon von den Spielzeiten der beiden Suiten mit jeweils knapp 15 Minuten eindeutigst:
https://www.discogs.com/de/Hans-Martin-Majewski-Ohne-Dich-wird-es-Nacht-Weg-ohne-Umkehr-aus-den-gleichnamigen-Tonfilmen/release/9451562

Somit kann natürlich auch niemand sagen, es sei vom Alhambra-CD-Set gerippt. Gewußt wie. ?

 

 

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vor 2 Minuten schrieb nordfriesede:

Es scheint, dass es sogar eine CD gegeben hat oder gab. Sie ist 2016 in den USA erschienen.

https://www.cduniverse.com/productinfo.asp?pid=10517934

Wenn ich dem Link folge, finde ich aber auch nur dieses MP3-Album und keine CD:

https://www.cduniverse.com/productinfo.asp?pid=10517934&style=music

Wo siehst Du eine CD, Bernd?

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Weiter unten finden sich dort Angaben zur CD Produktion.

 

Original Filmscores: German Symphonic Soundtracks 1940-1956 (Remastered 2016) album for sale by Various Artists was released Sep 23, 2016 on the Jube Legends label. Original Filmscores: German Symphonic Soundtracks 1940-1956 (Remastered 2016) CD music contains a single disc with 12 songs.

 

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vor 28 Minuten schrieb nordfriesede:

Weiter unten finden sich dort Angaben zur CD Produktion.

 

Original Filmscores: German Symphonic Soundtracks 1940-1956 (Remastered 2016) album for sale by Various Artists was released Sep 23, 2016 on the Jube Legends label. Original Filmscores: German Symphonic Soundtracks 1940-1956 (Remastered 2016) CD music contains a single disc with 12 songs.

 

Irgendwie zeigt es bei Dir auf der Seite wohl was anderes an als bei mir.

Ich sehe unten auf der Seite nur diese Info:

Item number 10517934 
Label Jube Legends 
Orig Year 2016 
Discs 1 
Release Date Sep 23, 2016
 
Wobei der große Witz dann der ist, daß das Label Jube Legends aber eh nur MP3-Alben anbietet, selbst wenn man nach CDs sucht:
 
Und selbst bei Presto Classical in England findet man auch nur das MP3-Album, aber keine CD:
Es ist überall dasselbe, wo man schaut. Jube Legends scheint das demnach wirklich nie auf CD gebracht zu haben.
Mit "Discs 1" oder selbst "Single Disc" oben ist wohl auch gar keine richtige CD gemeint, sondern nur das digitale Album. Echt verwirrend.
 

 

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Am 4.7.2018 um 13:44 schrieb Mephisto:

Ohne dieses Fass jetzt komplett aufmachen zu wollen: Der Umgang mit dem NS-Filmerbe in Deutschland ist kritikwürdig, geradezu peinlich.

Eben. Gerade bei einem Volk, das sich sonst wie kaum ein anderes rühmt, zu den finsteren Kapiteln seiner Vergangenheit zu stehen, finde ich es genauso blödsinnig Propagandafilme zu verbieten (bzw. nur unter besonderen Umständen vorzuführen), wie ich es fände deren musikalisches Erbe aufgrund der äußeren Umstände ihrer Entstehung zu ignorieren. Das nur als Gedankenspiel am Rande. Ich will das jetzt auch nicht weiter vertiefen, und eine CD-Edition ist ja nun in der Tat höchst unwahrscheinlich. Aber man sieht ja an den überraschend aufgetauchten Musikschnipseln, dass letzten Endes nichts in Stein gemeißelt ist. Danke an scorefun für dieses interessante Fundstück.

Der "Strandausflug"-Ausschnitt hat tatsächlich eine phantastische Musik, OPFERGANG werde ich mir definitiv noch anschauen, allerdings nicht auf YT, was ich nur dann tue, wenn´s sonst keine andere Möglichkeit gibt, sondern ordnungsgemäß von DVD.

vor 20 Stunden schrieb Mephisto:

Theo Mackeben gehörte zu einem der profiliertesten Komponisten im „Nicht-E-Musik-Bereich“ der 30er- und 40er-Jahre.

Diese Capriccio-CD-Reihe ist damals irgendwie völlig an mir vorbeigegangen. Dein Text macht allerdings neugierig, und ich bin gespannt, was da noch kommt.

 

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Georg Haentzschel! -  Wahrscheinlich am Wochenende. Tatsächlich war mir lange nicht klar, dass es auch Grothe- und Jurmann-Alben geben muss, aus denen dann die Capriccio-Box zusammengestellt wurde. Habe jetzt mal die Sammlung komplettiert. Aber vieles von Grothe und Jurmann wurde ja bereits oben besprochen, deswegen lasse ich es dann mit den Capriccio-Sachen gut sein und in die Nachkriegszeit gehen.

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Der 1907 in Berlin geborene Georg Haentzschel avancierte in den 1920er-Jahren zu einem der bedeutendsten deutschen Swingpianisten. Er arbeitete seit einiger Zeit als Assistent von Theo Mackeben, bis er 1937 mit DIE GÖTTLICHE JETTE seine eigene Filmmusik schrieb. In den folgenden Jahren arbeitete Haentzschel eng mit dem Regisseur Josef von Baky zusammen und leitete außerdem das Deutsche Tanz- und Unterhaltungsorchester. Der Unterhaltungsmusik blieb erauch nach Kriegsende treu, wobei er im Laufe seines Lebens zusätzlich mehrere Beiträge zur so genannten „ernsten Musik“ leistete.

In der vierteiligen Reihe mit der Musik deutscher Filmkomponisten aus dem Hause Capriccio wird auch Haentzschels filmmusikalisches Schaffen auf mit einem Album beleuchtet.

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Mit VIA MALA durfte Haentzschel einen der beeindruckendsten Filme betreuen, die zur Zeit des so genannten „Dritten Reiches“ entstanden sind. Die düstere Geschichte über eine vom alkoholabhängigen Vater tyrannisierten Familie und dessen mysteriöser Todesfall wartet mit beklemmenden Bildern und intensiven Darstellern auf. In Anbetracht des Entstehungsjahrs 1945 drängen sich unmittelbar Parallelen zu einem historischen Tyrannen auf, aber das Ende ist ganz nach nationalsozialistischer Linie gebürstet: Der Mörder wird von seiner Schuld freigesprochen. Nicht, was das Gesetz verbietet, sondern was der überlegende Geist gebietet, ist entscheidend. Das Ende wurde für Fernsehausstrahlungen in der DDR dann auch so umgeschnitten, dass man meinen kann, der Mörder stürze am Ende selbst in den Tod.

Die Musik zu VIALA MALA eröffnet die Kollektion in Form einer vom Komponisten selbst zusammengestellten Suite, die alle wichtigen Passagen enthält. Das schwelgerisches Spiel der Streicher lassen weite blühende Almlandschaften vor dem geistigen Auge entstehen und das langsam erwachende, sich von zarten Holzbläsern zum großen Orchestertutti steigernde Liebesthema dürfte zu den schönsten Einfällen des Komponisten überhaupt zählen. Freunde konservativer und orchestraler Filmvertonungen kommen hier besonders auf ihre Kosten. Auch die furiose Gewitter-Musik, die zwar den Vorspann, aber nicht die Suite eröffnet, und mehrfach im Film wiederkehrt, verrät den kundigen Handwerker. Grelle, von Beckenschlägen akzentuierte Blitze der dissonanten Blechbläser und pfeifende Windstöße der Violinen und Holzbläser über einem grollenden Paukenwirbel lassen einem einen Schauer den Rücken herunter laufen. Verhängnisvolle Posaunenakkorde über scharf akzentuierte Streicherrhythmen lassen böses ahnen, dann bricht noch einmal das Gewitter mit aller Vehemenz herein. Das Liebesthema beendet kraftvoll diese beeindruckende Tour-de-Force, die nicht nur einen der besten Filmen des NS-Kinos begleitete, sondern auch zu den Glanzlichtern in Haentzschels Schaffen zählt.

Zu Haentzschels bedeutendsten Arbeiten im Filmbereich gehört sicherlich die Musik zu dem prachtvollen Film MÜNCHHAUSEN, den Joseph Goebbels zum 25-jährigen Bestehen der UFA in Auftrag gab und der nach KOLBERG die zweitteuerste Filmproduktion des natioansolzialistischen Kinos blieb. Der charmante Film ist auch heute noch wegen für die Zeit beeindruckenden Spezialeffekten, prächtiger Ausstattung und der raffinierten Rahmenhandlung geschuldet ist. MÜNCHHAUSEN wartet zu Kriegszeiten mit einer überraschend versöhnlichen Darstellung des russischen Volkes auf, die sich über den Charakter der von Brigitte Horney gespielten Zarin Katharina, einer ursprünglichen deutschen Prinzessin von Anhalt-Zerbst, erschlichen wird.

Trotz einer beachtlichen Laufzeit von knapp zwei Stunden enthält der Film relativ wenig Musik. Wie auch zu VIA MALA stellte der Komponist eine Suite aus einzelnen Titeln seiner Filmmusik für den Konzertgebrauch zusammen.

Diese beginnt mit der Musik, die zu Beginn von Baron Münchhausens Erzählung erklingt und mit einer warmen Klarinettenmelodie in bester „Es-war-einmal“-Manier eröffnet wird. Zarte Streichertremoli suggerieren die gespannte Erwartungshaltung des Publikums, bevor das von der Klarinette vorgestellte Thema auch in mittlerer Lage von den Violinen vorgetragen wird. Haentzschel schuf hier zwei Minuten feine und lyrische Musik, getragen von sattem Streicherklang und zarten Holzbläsern.

Es folgen zwei quasi-diegetische Passagen. Der Tanz auf dem russischen Jahrmarkt erinnert mit seinem energischen Rhythmus und den strahlenden Bläsern ein bisschen an Mussorgskys  Bilder einer Ausstellung in der Orchestrierung von Maurice Ravel, die hier offensichtlich Pate gestanden haben. Der neckische Mittelteil begleitet die Begegnung Münchhausens mit der Zarin Katharina, die sich, als einfaches Bauernmädchen verkleidet, unters Volk gemischt hat. Die Rokoko-Szene vertont mit den klassizistisch anmutenden Streichern und dem trillerlastigen Cembalozwischenspiel das vergnügte und sorglose Leben bei Hofe.

Es folgt das Herzstück der Musik: Die furiose Titelmusik, die ähnlich zu anderen Produktionen dieser Zeit mehrmals im Film verwendet wie bei der spektakulären Entführung der Prinzessin. Weniger aggressiv als die Gewittermusik aus VIA MALA, aber ähnlich virtuos ist die Titelmusik weniger heroisch als tollkühn. Drängende Blechakkorde und quirlige Streicher zeugen von der Unternehmungslust des Protagonisten, nicht ohne das nötige Augenzwinkern zu vernachlässigen. Nach einer kurzen atmosphärischen Zwischenpassage schließt das schwelgerische Liebesthema an. Hier in Form der ausladenden Barcarole, die die Ankunft Münchhausens in Venedig begleitet. Der im Film zu hörende vokalisierende Chor ist auf der Aufnahme nicht vertreten.

Münchhausens Aufenthalt auf dem Mond gehört zu den beeindruckendsten Szenen des Films, für die Haentzschel eine möglichst befremdliche und kühle Musik schuf. Einzelne Phrasen der Holzbläser werdden in gläserne und lang gehaltene Streicherklänge verwoben, durch die anschließend eine Klarinette ein längeres und rhapsodisch gestaltetes Solo spinnt. Anschließend zeugt das elegische Spiel der Streicher von Münchhausens Trauer um seinen langjährigen Freund und Begleiter Christian.

In der Musik zur Schlussszene, in der Münchhausen seiner ewigen Jugend entsagt, leitet eine schwelgerischen Darbietung des Liebesthemas zu einer Reprise von „Münchhausens Erzählung“ über, die nun um eine triumphale Coda ergänzt wurde.

Die Musik zu MÜNCHHAUSEN ist ebenso charmant wie der Film, den sie begleitet. Haentzschel stellte aus seiner Musik eine abwechslungsreiche Suite zusammen, die aber durch die unterschiedlichen Stile – romantische Anklänge in der Eröffnungsszene, russische Volklore, Rokoko-Stilkopie etc. – recht heterogen wirkt. VIA MALA bleibt da das rundere Hörerlebnis, aber in Sachen Handwerk und Hörspaß steht ihr die MÜNCHHAUSEN-Musik, die ebenso kunterbunt ist wie der Film, in nichts nach.

Den größten Platz auf dem Album nimmt die Suite aus dem Nachkriegsfilm ROBINSON SOLL NICHT STERBEN in sieben Sätzen ein.

Die beiden Ecksätze versprühen durch ihre mit Flötenklängen gemischten und verhallten Vokalisen über flirrende Harfenglissandi eine merkwürdige Mischung aus Entrücktheit und Fernweh. Für die Kinder aus einem Londoner Armenviertel komponierte Haentzschel eine rustikale Musik mit brummenden Bordunbässen, kratzigen Fidelklängen und rustikalen Holzbläserfiguren. Auch die Musik zu den Kinderstreichen ist mit den robusten tiefen Holzbläserklängen und dissonanten Lautmalereien angenehm derb geraten. Dem folkloristischen Tanz im Gefängnishof steht ein prachtvolles Menuett gegenüber, das am Hofe des Königs erklingt.

Den Abschluss machen schließlich noch drei Titelmusiken zu weiteren Nachkriegsproduktionen.

Die Musik zu EMIL UND DIE DETEKTIVE wartet mit einigen charmanten Einfällen auf: dissonante Fanfaren und schrille Klarinettenklänge verleihen der Komposition einen ironischen Anstrich und die das Hauptthema garnierenden Xylophonfiguren lassen die Abenteuerlust der Kinderbande spüren, bevor ein gemütlich vor sich hintrottender Mittelteil beginnt.

Das Thema zu MEINE KINDER UND ICH gehört sicherlich nicht zu Haentzschels größten Würfen. Es ist aber nett anzuhören und schlägt nach einer Minute in offensichtliches Mickey-Mousing mit hohen Fagotttrillern und Streicher-Harfenglissandi um.

HOTEL ADLON eröffnet mit kraftvollen Blechakkorden, die von ornamentalen Girlanden der Holzbläser verbunden werden, bevor die Streicher das ausladende Hauptthema vorstellen. Eine agile Passage mit schnellen Holzbläsern und dezenten Einwürfen der kleinen Trommel und gestopften Trompeten leitet zum Mittelteil über, in dem die von solistischen Streichern dargebotenen Anfangstöne des Hauptthemas immer wieder von den Holzbläsern durchbrochen werden. Eine erneute Darbietung des Themas vom ganzen Streicherapparat beendet das Stück.

Mit dem Album zu Filmmusiken von Frank Haentzschel leistete das Label Capriccio einen wertvollen Beitrag zur Erhaltung des deutschen Filmmusikerbes. Indem auf Konzertsuiten zurückgegriffen werden konnte, die der Komponist selbst für ähnliche Zwecke erstellt hatte, sind die VIA MALA, MÜNCHHAUSEN und ROBINSON SOLL NICHT STERBEN ausgewogen präsentiert. Der letzte Block mit drei Titelmelodien bildet eine willkommene Zugabe. Die Musik ist durchweg von hoher handwerklicher Qualität und wird durch die Aufnahmen angemessen repräsentiert. Insofern kann ich diese CD jedem empfehlen, der sich für orchestrale Filmmusik mit leicht zugänglichen Themen und Melodien begeistern kann.

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Der Haentzschel-Sampler scheint mir von den drei vorgestellten der vielversprechendste zu sein. Interessant ist aber auch die Sache mit dem umgeschnittenen Ende von "Via Mala". Das wußte ich noch garnicht. Die Fassung, die ich von diesem Film kenne ist diejenige, die man auf archive.org besichtigen kann. Und das müßte demnach die DDR-Schnittfassung sein. Aber irgendwie erzählt jede der drei Verfilmungen die Geschichte ein bißchen anders. "Via Mala" mit Carl Wery ist aber so oder so wirklich sehenswert und er Froebe-Fassung überlegen. Sollte unbedingt mal auf DVD erscheinen.

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