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Der große Schostakowitsch-Thread


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Bin da ebendrübergestolpert.

Habs mir noch nicht angehört, werds aber sogleich zur Arbeit hören.

 

Dmitri Shostakovich: Symphony No. 5. Analysis by Gerard Schwarz: https://www.khanacademy.org/partner-content/all-star-orchestra/masterpieces-old-and-new/shostakovich5th/v/dmitri-shostakovich-symphony-no-5-analysis-by-gerard-schwarz-part-1
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  • 1 Monat später...

Schön, dass man bei Schostakowitschs umfangreichem Werk jahrelang zu "knabbern" hat. Momentan höre ich wieder vermehrt die Sinfonien, v.a. die, mit denen ich mich bislang kaum beschäftigt habe: die Nummern 11-13.

 

Die Elfte, entstanden 1957, trägt den Untertitel "Das Jahr 1905" und gehört zu den Programmsinfonien in Schostakowitschs Schaffen. Dargestellt wird der "Petersburger Blutsonntag" und das damit verbundene Massaker, das von der Palastwache des Zaren an demonstrierenden Arbeitern verübt wurde. Jeder Satz trägt einen quasi-szenischen Titel: angefangen bei der Versammlung der Demonstranten auf dem Palastplatz (1. Satz), über die Eskalation der Situation (2. Satz) und das Andenken an die Opfer (3. Satz), bishin zum kämpferischen Ausblick auf die Zukunft des Proletariats (4. Satz).

 

Während mich die freche, klassizistische Leichtigkeit der Neunten (1945) und die zuweilen brutale Selbstbehauptung des Komponisten in der Zehnten (1953) sehr fasziniert haben, konnte ich zur Elften bislang gar keine Beziehung aufbauen. Aufgrund des szenischen Charakters der Sinfonie mit den prägnanten Satzüberschriften wird die Elfte ja gerne Filmmusik-Hörern empfohlen - und tatsächlich ist die Musik ausgesprochen bildlich und klar greifbar. Doch gerade diesen filmmusikalischen Charakter finde ich hier besonders langweilig. Schostakowitsch ergeht sich - v.a. im überlangen ersten Satz - in monotoner Stimmungsmalerei, wälzt die "gespannte Atmosphäre auf dem Palastplatz" über fast 16 Minuten aus, bevor dann im zweiten Satz (endlich) Bewegung ins musikalische Geschehen kommt. Doch auch hier scheint die Musik gehemmt, fast so, als müsse sie sich unsichtbaren Filmbildern unterordnen. Mit der musikalischen Darstellung der in die Demonstrantenmenge abgefeuerten Schüsse (Schlagwerk-Salven im fortissimo) wird es im letzten Drittel des Satzes für kurze Zeit sehr eindrucksvoll, dann kehrt die Musik aber wieder zur "Spannungsmusik" des ersten Satzes zurück.

Den getragenen, dritten Satz ("Ewiges Andenken") würde ich als den stärksten des Werks ansehen - der stürmische vierte bietet dann eingängigen, aber auch etwas oberflächlichen Rumms.

 

loyalheart hat die Elfte oben ja sehr gelobt und einige Einspielungen vorgestellt. Ich kann die Liebe, die diesem Werk allgemein entgegen gebracht wird, nicht so recht nachvollziehen - für mich eins der hohlsten Werke des Komponisten, und zusammen mit der Dritten und Siebten meine bislang am wenigsten geschätzte Schostakowitsch-Sinfonie. Vielleicht lag es auch an der m.E. nicht ganz so optimalen Einspielung - bislang die einzige CD aus der EMI-Jansons-Box, die mich interpretatorisch und klangtechnisch überhaupt nicht überzeugt hat.

 

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Die Zwölfte (1961), ebenfalls mit historischem Programm (Untertitel: "Das Jahr 1917"), gefiel mir insgesamt deutlich besser. Dazu in Kürze mehr.

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Die Zwölfte Sinfonie ("Das Jahr 1917") gilt allgemein als eine der schwächsten von Schostakowitsch. Die Sinfonie ist - ebenso wie die Elfte - ein programmatisches Werk. Geschildert werden Ereignisse der Oktoberrevolution 1917, in deren Verlauf Lenin und die Bolschewiki an die Macht gelangten; gewidmet ist sie dem Andenken an Lenin. Auch hier haben die vier Sätze prägnante thematische Überschriften:

1. "Revolutionäres Petrograd"

2. "Rasliw" (ein Unterschlupf Lenins vor der Oktoberrevolution)

3. "Aurora" (das Schiff, von dem die Signalschüsse zur Erstürmung des Winterpalastes abgefeuert wurden)

4. "Morgenröte der Menschheit"

 

Die Sinfonie ist weitgehend traditionell gehalten, ein Werk für die Obrigkeit, uraufgeführt anlässlich des 22. Parteitages der KPdSU (Schostakowitsch wurde anlässlich der Uraufführung in die Partei aufgenommen). Die Musik erfüllt die Forderungen des Sozialistischen Realismus: Eingängigkeit, Klarheit des Ausdrucks, Volksverbundenheit, Optimismus. Im Gegensatz zu tiefschürfenden Werken wie der Vierten oder Achten Sinfonie haben wir es hier tatsächlich mit linientreuer, ergebener "Parteimusik" zu tun. Trotzdem finde ich die Sinfonie beeindruckender, charaktervoller als die Elfte, was z.T. an der ökonomischen Struktur liegt (knackige 40 Minuten, vs. relativ langatmige 70 Minuten in der Elften), durchaus aber auch am Gehalt.

 

Schostakowitsch verzichtet im Gegensatz zur Elften auf ausufernde Stimmungsmalerei, komponiert geradlinig und entwickelnd. Der erste Satz stellt die prägnanten, sehr eingängigen thematischen Leitgedanken vor - ein düsteres, dramatisches Motiv und ein heroisches, wahrscheinlich Lenin zugeordnetes Thema - und verarbeitet sie in einer furiosen, packenden Steigerung. Im zweiten, langsamen Satz ("Rasliw") wird es Schostakowitsch-typisch dunkel und ernst, die Themen des ersten Satzes werden beibehalten. Besonders schön ist eine wiederkehrende, erhabene Akkordfolge, die manchmal im Blechbläser-Choral, manchmal in den vollen Streichern erklingt und dezent an Barber erinnert. Der dritte Satz, "Aurora", ist mit knapp unter vier Minuten der wohl kürzeste Satz in den traditionellen Sinfonien Schostakowitschs (nur in der avantgardistischen, 11-sätzigen Sinfonie Nr. 14 gibt es kürzere Sätze). Der kurze Satz baut mit leiser Pauke und Pizzicato-Streichern eine sinistre, gespannte Stimmung auf und steigert sich dann rasch ins wuchtige Tutti - und geht nahtlos in den vierten und letzten Satz über. Die "Morgenröte der Menschheit" ist dann optimistische Siegesapotheose und endet in heroischem, glorifizierendem Taumel - auf einem ewig in die Länge gezogenen Dur-Akkord. Auffallend sind die Ähnlichkeiten zum Schluss der Fünften Sinfonie.

 

Letztlich ist die Zwölfte eine geschlossene, runde Sache. Trotz eher simpler Faktur hat das thematische Material Charakter und wird insbesondere im ersten und zweiten Satz wunderbar verarbeitet. Die Kombination aus drittem und viertem Satz ist ungewöhnlich und lässt den kurzen dritten Satz fast als eine Art Präludium zum Finale erscheinen - ein subtiler Bruch mit der Tradition der Satzfolge und der Proportion. Das Finale ist dann sozialistischer Realismus pur, aber übt gerade in seiner resoluten, überrumpelnden Einfachheit eine seltsame Faszination aus. 

 

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Die Zwölfte wird im Jansons-Zyklus zusammen mit der Zweiten Sinfonie (1927) auf einer CD präsentiert. Die Kopplung macht Sinn, so ist die Zweite ähnlich unpopulär wie die Zwölfte und zählt zu den am seltensten aufgeführten Sinfonien Schostakowitschs. Außerdem hat die Zweite ebenfalls die Oktoberrevolution zum Thema: nach einem avantgardistischen Anfangsteil wird im heroischen Chorfinale das sozialistische Agitationsgedicht "An den Oktober" vertont. Mariss Jansons gab sich bei diesen weniger gefeierten Werken besondere Mühe: die Einspielungen sowohl der Zweiten als auch der Zwölften gehören zu den besten auf dem Markt.

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  • 3 Wochen später...

Und weil's so schön war, nochmal ein Ausschnitt: der erste Satz der Zwölften, gespielt vom venezuelanischen Teresa Carreno Youth Orchestra, ebenfalls unter Gustavo Dudamel:

 

 

Die Klangqualität ist leider nicht optimal - bei lauteren Stellen verzerrt es etwas - , aber die Interpretation ist einfach der schiere Wahnsinn. Mit was für einer Energie und Spielfreude die jungen Musiker hier auftreten, ist überwältigend. Venezuelas "Sistema" (die staatliche Musikförderung von Jugendlichen aus sozialen Brennpunkten) hat wirklich großartige Ergebnisse hervorgebracht - von so einer lebendigen, leidenschaftlichen Musikkultur können wir hierzulande nur träumen.

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  • 1 Jahr später...

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