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Francesco Sartori: VAJONT - LA DIGA DEL DISONORE


Gast suizoscore
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Gast suizoscore

Ich habe kürzlich eine grosse Entdeckung gemacht.

Der Film VAJONT (2001) kam, soweit ich es herausfinden konnte, im deutschen Sprachraum nicht mal in die Kinos und eine deutsche Synchronfassung gibts wahrscheinlich auch nicht. Spottbillig ist die DVD für weniger als 2 Euronen sowohl in Frankreich (nur franz. Sprachversion) und Italien (ital. und engl. Sprachversionen) zu kriegen. Da ich den Film noch nicht sehen konnte, weiss ich nicht, wie gut er wirklich ist. Er mag, schenkt man gewissen Kritiken Glauben, wegen knappem Budget seine Mängel bei den Spezialeffekten haben, aber der hochbrisante Stoff und die solide Besetzung (Serrault, Auteil uam.) sind äusserst verheissungsvoll.

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Die Filmmusik vom Italiener Francesco Sartori ist bemerkenswert (auf CD nur in Italien erschienen: Sugar 300372-2), ging aber im Wust anderer Veröffentlichungen unbeachtet unter, doch davon später.

Die Geschichte, sie beruht auf Tatsachen (die offizielle Website, die Einträge in Wikipedia und Gfbv), erzählt von der Katastrophe von Vajont (Region Friaul-Julisch Venetien), wo in den 1950er Jahren gegen den Widerstand der einheimischen Bevölkerung und entgegen geologischen Gutachten eine riesige Staumauer hochgezogen wurde. Am 9. Oktober 1963 führte ein gewaltiger Bergsturz zu einer noch gewaltigeren Flutwelle im Stausee. Die absolut skandalösen Hintergründe, die zu diesem erschütternden Ereignis führten, sind in den obgenannten Links en Detail nachzulesen. Der Nachgang der Geschichte ist nicht weniger skandalös.

Je nach Angaben kamen in dieser Katastrophennacht gegen 2'000 Menschen ums Leben, ganze Dörfer wurden praktisch ausradiert:

In der Nacht des 9. Oktober 1963, 22.39 Uhr, löste sich der vom Wasser untergrabene Berg Toc und stürzte in den See. Mehr als 260 Millionen Kubikmeter Gestein - 200 Hektar auf einer Gesamtlänge von mehr als zwei Kilometern - in den See und riss Wälder, Weiden, Häuser, Stadel, Tiere und Menschen mit sich. In einer Minute stieg die Geschwindigkeit von 60 Zentimeter auf 100 Kilometer pro Stunde: Das Wasser im Hang verdunstete durch die Hitze der abwärts reibenden Masse, dadurch bildete sich ein Dampfkissen zwischen dem Dolomitkalk und dem Abriss. Der See wurde in zwei Teile geteilt, die Häuser in der Nähe des Dammes von der Flutwelle begraben. Das Wasser, das von den riesigen Massen aus dem Becken geschleudert wurde, erhob sich in zwei riesigen Flutwellen von insgesamt 50 Millionen Kubikmetern. Die erste verschluckte in nur wenigen Sekunden den unteren Teil von Erto samt seinen Bewohnern, die zweite traf den Kern von Casso, schwappte über den Damm und fiel hunderte von Metern ins Piave-Tal hinunter. Ein Kurzschluss erleuchtete das Tal wie ein Dauerblitz - es war wie die Apokalypse. In fünf Minuten wurden das blühende Zentrum von Longarone sowie die umliegenden Fraktionen von einer 70 Meter hohen Wassermauer begraben. Innerhalb von wenigen Augenblicken war von zwei Dörfern nicht mehr ein Stein auf dem anderen. Die Zahl der Opfer belief sich auf insgesamt 2.100- die Zählung dauerte lange, die Leichen wurden zum Teil bis in die Adria gespült. (Zitat: Gfbv)

VAJONT - LA DIGA DEL DISONORE ist also ein Katastrophenfilm. Als realistisch wirkende Filmumsetzung bestimmt sehr aufwändig und wahrscheinlich diesbezüglich nicht ganz überzeugend für jemanden, der sich regelmässig mit der üblichen Hollywoodkrachkabumperfektion zudröhnen lässt.

Francesco Sartori hat eine wunderbare Filmmusik geschrieben. Herausragend ist sein Song "Stella" (auf der CD ebenfalls mit englischem Text als "Lonely Heart (Stella)" enthalten) - meiner bescheidenen Meinung nach ist dieses echt ergreifende Lied dem unsäglichen "My Heart Will Go On" aus TITANIC meilenweit überlegen und verdiente mehr Beachtung. Filippa Giordano singt "Stella" nicht mit der protzenden Wucht einer Céline Dion, sondern weitaus angebrachter sanft sich windend, ihre Stimmgewalt wirkt nie aufdringlich. Es ist ein Lied um den plötzlichen Verlust eines geliebten Menschen, ein Klagelied und ein Liebeslied in Einem, Abschied und Erinnerung. Das musikalische Hauptthema ist für unsere Tage ungewöhnlich eingängig, und das ist sehr schön (hoffentlich nicht nur für mich). Ich bin überzeugt, würde der Song in den Radios endlich mal gespielt, gelangte er locker in die Charts; denn "Stella" hat das Zeug zum Hit.

Die Soundtrack CD enthält elf Tracks (Spielzeit ca. 33 Minuten; also sehr kurz), neun Tracks sind Score (ca. 24 Minuten), mal grossorchestral mit viel Chor ("Proteggimi - versione strumentale" - für mich der konventionellste Teil - man erwartet diese Art Musik bei solchen Filmen), dann sparsame Stücke für Soloklavier, "L'Esodo". "Apocalisse" wird mit Sicherheit die Musik zum eigentlichen Katastrophenereignis sein, hohe Steichersätze und brodelnde Elektronik. Ein bisschen Ähnlichkeit aus Vivaldis "Gloria" erkennt man in "Fango". Margherita Gracyk dirigiert die Tschechische Nationalphilharmonie in Prag. Rossano Sportiello spielt die Einlagen für Pianoforte (aufgenommen in Mailand). Die Synthesizer bediente der Komponiste höchstpersönlich. "Proteggimi" von Sartori wurde mit dem Orchestra e Coro dell'Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom aufgenommen, Myung-Whun Chung dirigiert das imposante Stück.

Ein Vergleich mit TITANIC mache ich übrigens nicht aus Beliebigkeit, ja, er bietet sich geradezu an, und sicher nicht nur auf musikalische Ebene liessen sich Parallelen ziehen. - Während James Horner orchestral klotzen durfte; doch damit meiner Meinung nach viel Langeweile und nichts Grosses schuf ausser einen Haufen Geld und Ehrungen, blieb Sartori bescheidener, ja eindringlicher. Zwar würde ich nicht so weit gehen und behaupten, VAJONT sei die beste Filmmusik der letzten 20 Jahre, doch bestimmt kann sie als sehr gut bezeichnet werden, gerade wegen des exzellenten Hautthemas und des Lieds. Während Lieder traditionsgemäss in Filmen als PR-Mittel ihre Hauptfunktion verrichten ohne weitere Bezüge zum Rest des Films, hat "Stella" - und ich sage dies noch ohne Kenntnis des Films - offensichtlich seinen Platz im musikalischen Gefüge von VAJONT sowohl musikalisch wie auf Textebene. Der TITANIC-Song funktioniert auf der selben Schiene wie "Stella", bietet also diesbezüglich nicht unbedingt Anlass zur Kritik. Meine Einwände sind primär geschmacklicher Art und darüber lässt sich bekanntlich trefflich und zu allem Überfluss auch noch endlos streiten. Ich habe mir "Stella" mittlerweile sicher über 50 Mal in den vergangenen 10 Tagen angehört und er ist mir nicht verleidet, wird es wohl auch kaum. Das finde ich aussergewöhnlich, und ich deute es als Qualitätsmerkmal, nicht unbedingt für meinen eigenen Geschmack, sondern für das schöne Lied.

So, ich hoffe, gute Werbung gemacht zu haben, und jetzt alle sofort hinrennen und die CD bestellen, solange man diese schöne Musik noch finden kann!

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