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Night Digger - Bernard Herrmann


waldgeist
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Night Digger - Bernard Herrmann

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Label: Label X

Veröffentlichung: 01. Januar 1994 (Score von 1971)

1. Scene One

2. Scene Two

3. Scene Three

4. Scene Four

5. Scene Five

6. Scene Six

7. Scene Seven

Laufzeit: 38 Minuten und 21 Sekunden

Bernard Herrmann ist ja dafür bekannt, verschiedene kompositorische Facetten zu zeigen: In Citizen Kane hört man ihn als einen klassischen Komponisten, in Jane Eyre als ein Romantiker und in Vertigo als düstererer Komponist. Doch es gibt noch eine andere Seite von Herrmann: Die Seite des sperrigen, komplexen Filmmusikkomponisten. Diese Seite zeigt er durch seinen Score Night Digger, welchen er am Anfang der 70er Jahre komponierte. Nach der Glanzzeit von Psycho vertonte Herrmann die Filmmusiken von meist bescheidenen Filmen. Viele dieser Filme sind im Horror-, Thriller- und Psycho-Bereich anzusiedeln; Night Digger gehört auch dazu.

Zugegebenermaßen ist die Trackliste sehr kurios und gleichzeitig schlicht gestaltet. Keiner dieser Tracks erzählt anhand des Namen über eine bestimmte Szene im Film. Ich habe den Film nicht gesehen und gehe daher nur auf die Musik ein. Auf der 1994er Auflage des australischen Label X wird schnell klar, auf was Herrmann hinaus wollte: Die CD wurde mit Night Digger betitelt, als Anhang hierzu steht auf der Vorder- und Rückseite "Scenario Macabre for Orchestra". Dies drückt schließlich die Intention aus, dass der Film die Rolle in den o.g. Sparten einnimmt. Der Aufbau der Tracks (Szenensätze) zeigt sich recht klassisch im Sinne einer Variationskompositions á la Strauss' Don Quixote. Eventuell vermutet man unter dem Scenario Macabre eine Anlehnung an Saint-Saens Danse Macabre oder Mussorgsky's Night on Bald Mountain. Jedoch hört man eine ganz andere Facette als erwartet: Der gesamte Score ist mit einem Streichorchester und einer Mundharmonika gespielt. Das Streichorchester spielt selbstverständlich im Stile von Psycho und Fahrenheit 451, soviel zur gesamten Instrumentierung des Scores.

In "Scene One" wird man mit einem Streicherpart überrascht, welcher sehr an die Streicherparts von Psycho erinnern. Celli folgen hinzu, spielen eine etwas bedrückte Melodie und es setzt die Harfe ein, die den Platz der Mundharmonika ankündigt. Sehr sperrig und psychopathisch drückt sie eine Melodie aus. Die Violine übernimmt den Part und übergibt auch gleichzeitig wieder den Ton an die Mundharmonika. Dieses Gesamtspiel beläuft sich im ganzen ersten Track.

In der zweiten Szene wird es allmählich ruhig und die Mundharmonika spricht weiter ihre quälenden Worte. Insgesamt ist dies ein sehr ruhiges Stück.

In "Scene Three" wird man von den Streicher in ein angenehmes, hermannesques Erlebnis geführt. Die Mundharmonika wird dieses Mal sparsamer eingesetzt und das Orchester als Adagio mit ruhigen Harfeneinlagen kommt mehr zum Ausdruck.

Die vierte Szene ist ein sehr sperriges Stück: Leise winseln die Streicher, als würden sie etwas ankündigen. Und tatsächlich: Den Beginn des "Scene One" hört man im vollen Einsatz! Nun hat die Mundharmonika viel Raum für einen einsamen Part, begleitet mit avandgardistischen, penderecki-like Violinspielerei und -zupferei. Es verstummt das Ereignis und die Kontrabässe setzen ein, dennoch folgt wiederum das gleiche, vorherige Ereignis. Die Kontrabässe beenden dieses minimalistische Orchesterschauspiel.

Wie dankbar man dann doch ist, "Scene Five" zu hören, denn endlich folgen Streicher in einem Triller und die Mundharmonika spricht eine bessere, zugänglichere Sprache. Im typischen Herrmann-Rhythmus agieren die Streicher staccato-ähnlich. Außerdem bekommt man originelle Streicherarbeiten zu hören, die abseits der normalen Psycho-Systematik liegen.

"Scene Six" ist im selben Schema wie "Scene Two" aufgebaut, nur mit anderen Melodien und Notenabläufen.

Das Highlight dieser CD ist wohl der letzte Track mit der sperrigen Mundharmonika, den hellen Streichern und einem glücklichen, romantischen Einsatz, welcher Herrmann in Jane Eyre oder The Ghost and Mrs. Muir verwendete. Gegen Ende folgt ein mystischer Anklang in der Bartók-Tradition, mit psycho-ähnlichen Streichereinsätzen wird das Werk zum Ende geführt und eine einzelne Violine beendet das Scenario Macabre in einem symphonischen Ausklang.

Insgesamt ist dieser Score viel zu monoton. Wenn die sperrigen und komplexen Kompostionen des Scores folgen, hat man das Gefühl, dass sie nicht auf das hinauslaufen, was man unter sperrigen Scores versteht oder kennt. Das ist ja auch so gedacht: Ein Scenario Macabre, dass die einzelnen Szenen auf CD sehr makaber untermalt. Die Satzeinteilung ist meines Erachtens auch sehr unglücklich gewählt, aber ich denke, dass Herrmann bewusst auf einen Variationsaufbau zurückgriff. Die CD an sich ist sehr schwer zu bekommen; gerade die Erstauflage ist ein recht seltenes Stück. Das Label X brachte später noch eine Compilation "Bernard Herrmann at the Movies" heraus, mit dem gesamten Night Digger-Score wie auf der Erstauflage und Scoreanteilen von Battle of Nereteva und Sisters.

Nun, wie sieht's mit der Bewertung aus? Ich muss gestehen, dass Night Digger bislang der schwächste Herrmann ist, den ich gehört habe. Sicherlich für Einsteiger ins hermannsche Schaffen recht ungeeignet, doch für Herrmann-Fans ein interessanter Score, zwischen kompositorischer Idee und künstlerischer Wahnsinn.

Bewertung: 6/10 Punkten

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Danke für die interessante Besprechung. Bin erst kürzlich bei filmscorerundowns.net über diesen mir unbekannten Score gestolpert aber konnte mir nicht wirklich vorstellen wie der klingt. Wird aber wohl erstmal keine Anschaffung für mich sein. Abgesehen davon dass man schwer rankommt bin ich auch nicht so ein Hardcore Herrmann-Fan, und gerade sein Spätwerk ist schon oft etwas anstrengend...

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Danke für's Lob, Christoph.

Es ist kein Must-Have, das steht schonmal fest. Eigentlich ist es nur was für Die-Hard-Herrmann-Fans, aber mir gefällt er persönlich, daher habe ich ihn auch. Wie ich schon erwähnte, ist es ein interessanter Score. Herrmann setzt die Mundharmonika sehr gut mit dem Orchester ein und entwickelt dabei ein sehr schönen Kontext zwischen der Mundharmonika und den Streichern. Ich weiß nicht so recht, ob das stimmt, aber es kann durchaus sein, dass Jerry Goldsmith diesen Score als Inspirationsquelle für sein Magic verwendete...:applaus:

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  • 12 Jahre später...

Den 'Night Digger' fand ich immer schon recht gut. Durch die Mundharmonika besitzt die Musik eine sehr befremdliche Atmosphäre, die bedrückend und düster daherkommt. Gerne würde ich auch mal den Film dazu sehen, aber der soll wohl gar nicht so gut sein. Ich kann die Musik nachdrücklich empfehlen, da sie typisch Herrmann ist und für mich eine hohe Qualität aufweist. 

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vor 2 Stunden schrieb Osthunter:

Gerne würde ich auch mal den Film dazu sehen, aber der soll wohl gar nicht so gut sein.

Es ist einige Jahre her, aber ich fand den Streifen ganz unterhaltsam. Lag natürlich auch mit daran, Herrmanns wunderbare Musik im Kontext zu erleben.

Wenn man sich diese Zusammenfassung von Kritiken durchliest, ist das Urteil über den Film wohl über die Zeit besser geworden:

Zitat

In a contemporary review, The New York Times wrote "It begs for empathy for its tortured principals, but despite the clearly dedicated contributions of Patricia Neal, Roald Dahl, her scenarist-husband; Pamela Brown and a young newcomer, Nicholas Clay, the strain on credibility is a good deal more notable than the impact on the emotions"; while more recently, a reviewer for DVD Talk wrote "The Night Digger doesn't carry much of a reputation, but I found it highly unusual, and more than satisfying"] Cinema Retro called it "an underrated gem", and the Radio Times concluded "director Alastair Reid's neo-Grand Guignol chamber piece exudes a peculiar fascination".

 

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