-
Gesamte Inhalte
9.926 -
Benutzer seit
-
Letzter Besuch
Beiträge von Sebastian Schwittay
-
-
vor 32 Minuten schrieb bimbamdingdong:
natürlich isses ein anderes erlebnis, ob man im kino hockt oder vor dem fernseher. aber das hängt auch vom film ab. sowas wie "star wars" oder "bfg" oder "valerian" gewinnt durch die große leinwand und saal und sound. [...]
aber filme wie "cloverfield paradox" oder "the irishman" tun es meines erachtens auch sehr gut auf dem fernseher.
Also nur laute, bombastische Filme gewinnen durch das Kinoerlebnis? Dem möchte ich vehement widersprechen! Ein filmisches Überwältigungserlebnis stellt sich ja nicht nur durch Inszenierungsstrategien des Blockbusters ein, sondern schon durch die sublimsten und leisesten Mittel, die die Kunstform zu bieten hat. Im Klartext: auch ein Film der leisesten Gefühle wird auf der großen Leinwand noch viel intensiver.
Das ist so eins der zentralsten Missverständnisse in der Film- und Kinorezeption unserer Zeit: dass das Kinoerlebnis nur überwältigend sein kann - und sich lohnt -, wenn es laut ist.
-
Ja, ich wollte die Erklär-Threads jetzt auch nicht in Frage stellen. Meine nur, dass man das die ganzen Jahre schon so hätte handhaben können: ich verstehe was nicht, also schlag ich es schnell auf Wikipedia nach.
-
vor 18 Stunden schrieb Angus Gunn:
Den Titelsong interpretierte der Amerikaner Scott Walker (Walker Brothers), den seit jeher eine Leidenschaft insbesondere für europäisches Kino auszeichnet. "The Rope and the Colt" ist dann auch eine ungemein schmissige Testosteron-Nummer, die noch lange im Ohr bleibt.
Ist das der Scott Walker, der vor zwei Jahren Brady Corberts THE CHILDHOOD OF A LEADER vertont hat? Hatte gar nicht so auf dem Schirm, dass der schon in den 60ern aktiv war...
-
Wollen wir mit den Threads vielleicht einfach schon mal starten? Können dann ja verschoben werden, wenn das Musik-FAQ-Unterforum eingerichtet ist.
-
vor 13 Minuten schrieb Stese:
Ein weiterer Grund ist, dass ich keinen Zugang zu einem Musikerdialog finde, sprich: Es kann sein, dass jemand hier im Board Kontakt zu den Komponisten hat, mit im Studio bei der Technik anwesend ist und vieles vorab hören kann. Zum Forenbeitrag gesellt sich dann ein Profimusiker und einer, der Musik momentan studiert. Und dann wird quasi fachchinesisch gesprochen, dass "...der und der Komponist sehr wohl ein Motiv in seinem Score verarbeitet hat, bzw. in dessen Scores herauszuhören ist. Und zwar in Track X und Y klingt das Stringendo sehr Verismo, wenn es sich im col legno battuto verliert...". Bei sowas verstehe ich halt dann nur Bahnhof, da ich aus dem Blasmusikbereich stamme und könnte nichts anderes beitragen wie ein gelogenes GENAU!.
[...]
Vielleicht kann man Fragen stellen, Fragen stellen, Fragen stellen? Simple fragen, worauf man simple Antworten geben kann? Nur dürfen die Frage-Threads noch nie gestellt worden sein. Sonst kommt da auch keine Antwort darauf, wenn man das Thema schon mal hatte und als User gefühlt das dritte mal beantwortet. Nur so eine Idee.
Dafür haben wir uns ja die Sache mit den Erklär-Threads überlegt (siehe Thread "Was wollt ihr wissen?" hier im Unterforum). Da kann nach der Bedeutung von Fachbegriffen gefragt werden - die Erklärungen folgen dann in extra Threads.
(Wobei man dazu sagen muss, dass man im Google-Zeitalter die Definition eines Fachbegriffes in Sekundenschnelle selber finden kann. Ich habe gerade "Was ist col legno battuto" auf Google eingegeben, und bin gleich beim ersten Suchergebnis auf der entsprechenden Wikipedia-Seite gelandet, die den Begriff super anschaulich und verständlich erklärt.)
-
vor 5 Minuten schrieb horner1980:
Ich dachte, dass auch "Irishman" erst fürs Kino geplant war, aber als dann alle Studios abgesprungen sind, Netflix übernahm und damit der Film nicht auf der großen Leinwand kommt. Aber deins klingt plausibler.
Doch doch, das stimmt schon alles so. Ist ein weiteres Beispiel für diese unschöne Entwicklung - aber ANNIHILATION war in den letzten Wochen noch mehr in den Schlagzeilen, da eben das Release Date schon sehr bald ist.
-
1
-
-
vor 2 Stunden schrieb horner1980:
"The Irishman" von Martin Scorsese, der auch statt im Kino nun bei Netflix gelandet ist.
Ich glaube, Csongor meinte eher ANNIHILATION von Alex Garland, der nur in den USA, Kanada und China einen Kinostart bekommt, überall sonst aber nur auf Netflix landet. Das war das prominenteste Beispiel der letzten Wochen.
vor 3 Stunden schrieb bimbamdingdong:und warum bedauerlich? spart man sich den weg ins kino und das eintrittsgeld und kann das ganze bequem daheim ..quasi zum „kinostart“...auf netflix ohne zusatzkosten anschauen, synchronisiert sogar. „win win“ nennt man sowas!
vor 2 Stunden schrieb Grubdo:film vor kinoflop bewahrt.war ne gute entscheidung.
Das ist in der Tat bedauerlich und absolut keine gute Entscheidung. Filme gehören ins Kino, und gerade ANNIHILATION hat der Regisseur auch explizit für die Kino-Rezeption vorgesehen. Was Netflix da tut, ist Zerstörung von Kinokultur.
Hier Alex Garlands Kommentar zum Netflix-Deal:
ZitatWe made the film for cinema. I’ve got no problem with the small screen at all. The best genre piece I’ve seen in a long time was The Handmaid’s Tale, so I think there’s incredible potential within that context, but if you’re doing that – you make it for that [medium] and you think of it in those terms. Look… it is what it is. The film is getting a theatrical release in the States, which I’m really pleased about. One of the big pluses of Netflix is that it goes out to a lot of people and you don’t have that strange opening weekend thing where you’re wondering if anyone is going to turn up and then if they don’t, it vanishes from cinema screens in two weeks. So it’s got pluses and minuses, but from my point of view and the collective of the people who made it – [it was made] to be seen on a big screen.
-
1
-
-
vor 1 Stunde schrieb bimbamdingdong:
nie vorher von dem mann (außer hier im forum) oder dieser band gehört, gelesen, erfahren.
Das liegt dann wohl daran, dass du dich nur sehr begrenzt informierst. Greenwood ist bereits seit 2007 bekannter Filmkomponist, sein THERE WILL BE BLOOD schlug damals recht hohe Wellen - mit NORWEGIAN WOOD, THE MASTER und INHERENT VICE folgten dann weitere größere Filmmusiken, die ich dir im Übrigen auch letztes Jahr in einem anderen Thread vorgestellt habe. Gerade in NORWEGIAN WOOD benutzt er auch das ganze Orchester, nicht nur die Streicher - ein Stück daraus hatte ich dir damals verlinkt, aber das hast du bestimmt schon wieder vergessen...
Ich finde es im Übrigen richtig ärgerlich, wie respektlos du hier in Threads hineinpolterst, dich mit Unwissenheit regelrecht brüstest, und die Bemühungen anderer, sich ernsthaft und nicht polemisch mit einer Musik auseinanderzusetzen, förmlich mit Füßen trittst. Dieses unsensible, proletenhafte Auftreten nervt mich (und übrigens auch andere!) mittlerweile gewaltig.
-
2
-
1
-
-
Beltramis feiner SNOWMAN:
-
vor 12 Stunden schrieb horner1980:
Greenwood entwickelt sich langsam zu einem Trend außerhalb des Soundtrack Boards
Außerhalb des Soundtrack-Boards ist er das ja schon lange.
Aber schöner Artikel, danke fürs Posten.
-
Der Film ist furchtbar biederes, altbackenes Qualitätskino, das zwar hinter der Kamera die Crème de la crème der filmgestalterischen Perfektion versammelt (Bruno Delbonnel, Sarah Greenwood, Jacqueline Durran), aber über den schönen Look und die Konventionen des Politiker-Biopic hinaus überhaupt nichts zu bieten hat. Selbst in Gary Oldmans Performance sehe ich nur überragendes Schauspiel-Handwerk, aber kaum echtes, menschliches Engagement.
Marianellis Score gehört zu den lethargischsten Filmvertonungen des Jahres - anstatt irgendetwas dramatisch zu kommentieren, legt sich die Musik wie ein Teppich unter die Bilder, bleibt statisch immer auf ein und demselben Ausdruck stehen. Schon ohne Bild fand ich die Begrenztheit der Musik störend (siehe oben), als FILMmusik nun aber auf jeden Fall einer der Flops des Jahres. Kein Wunder, dass das weder bei den Globes noch bei den Oscars berücksichtigt wurde.
-
1
-
1
-
-
Schöne Sachen sind da ja im Golden Age zustande gekommen - man denke an die Zusammenarbeit zwischen Alfred Newman und Bernard Herrmann. Allerdings ist das eher "aufgeteilt" und keine wirkliche Stilsymbiose...
-
Eisenstein war Gegner dessen, was wir heutzutage als "flüssigen Schnitt" bezeichnen würden - er wollte das Publikum schocken. Durch ungewöhnliche, allegorische oder auch politisch "erzieherische" Bildkombinationen. Berühmt das Bild der Demonstrierenden in STREIK (1925), die von der Polizei niedergeschossen werden, zusammengeschnitten mit einer Kuh, die mit einem Bolzenschussgerät getötet wird. Das "dritte Bild", also das Sinnbild, das daraus entsteht: die Obrigkeit ist böse, und schlachtet das demonstrierende Volk wie Vieh ab.
-
Na, Photoshop natürlich. Eisenstein war der Pionier in der Bildbearbeitung.
-
1
-
-
Naja, dass Desplat wieder drei Preise abstauben muss (gerade für VALERIAN... immerhin aber nicht für SHAPE OF WATER) finde ich übertrieben.
Schön aber, dass THE DEATH OF STALIN gewürdigt wurde!
-
vor 1 Stunde schrieb Stefan Schlegel:
Leider gibt es den herrlichen DEUX HOMMES DANS LA VILLE immer noch nicht auf CD, was sehr bedauerlich ist. Der Titel ist aber von irgendeinem Label nun schon seit ein paar Jahren im CAM-Katalog von Sugar reserviert. Nur ist das Seltsame: Es bringt ihn niemand, bislang weder Quartet noch Music Box, die eigentlich als einzige dafür in Frage kämen. Ich habe DEUX HOMMES DANS LA VILLE auf der alten Phoenix-LP von Mitte 80er wo er mit LES SEINS DE GLACE (ein weiterer spannender Delon-Krimi von 1974) gekoppelt war.
Schade. Dann heißt es wohl erstmal noch abwarten.
vor 2 Stunden schrieb Stefan Schlegel:Und dadurch, daß sich dann ein Franzose wie Desplat in den letzten 10 Jahren mit seinen Klimper- und Plätscher-Orgien zudem noch in den USA etabliert hat – habe erst neulich z.B. den vielgelobten SHAPE OF WATER angehört und bin schier dran eingeschlafen, vor allem auch aufgrund des wirklich faden Hauptthemas –, scheint jemand wie Sarde dann eben gar nicht mehr vorhanden zu sein.THE SHAPE OF WATER fand ich auch arg langweilig, v.a. den ewigen harmonischen Stillstand in den Tracks. Das dreht sich schon im Hauptthema immer nur auf den gleichen zwei, maximal drei Akkorden herum. Warum das mal wieder den Golden Globe gewinnen musste (und wahrscheinlich auch den Oscar abstauben wird), ist mir ein Rätsel. Greenwoods PHANTOM THREAD - der dir wahrscheinlich auch nicht so gefallen wird - fand ich da weitaus farbiger und schöner auskomponiert. Gerade der erste Track mit den extrem hohen Streichern ist ein schönes companion piece zu BIRGITT HAAS, finde ich...
-
vor 44 Minuten schrieb Max Liebermann:
Französisches Kunstkino, Polanski- und Romy-Schneider-Filme...
Oder eben auch französisches Genrekino - ich finde Sardes Musik besonders in den etwas "trivialeren" Stoffen sehr reizvoll, da sie diesen Filmen so einen besonderen, entrückten Anstrich gibt. Etwa in den Arbeiten für Yves Boisset, in José Giovannis DEUX HOMMES DANS LA VILLE (gibt es den eigentlich auf CD, Stefan?) oder eben in IL FAUT TUER BIRGITT HAAS.
-
Hätte nicht gedacht, dass PHANTOM THREAD (bislang) sogar noch unbeliebter ist als DUNKIRK, den ja wirklich viele nur als Soundcollage wahrgenommen haben. Mit Greenwood macht man sich in Filmmusik-Kreisen wohl echt keine Freunde...
Egal, hier trotzdem die beiden Tracks aus dem Score, die es auf YouTube gibt: "Phantom Thread I" und "House of Woodcock".
Wer Interesse hat: hier habe ich Ausführlicheres zur Musik geschrieben.
-
2
-
-
Dann nimm' PHANTOM THREAD doch als Score zu einem Horrorfilm wahr, wenn dir das hilft. Ist ja auch nix Verwerfliches dran - in den 70ern hätte ein Horrorfilm vielleicht sogar so einen Score bekommen.
(Wenn man die Tracks 1, 2, 6, 7, 9, 11 und 12 nimmt, hat man ja in der Gesamtstimmung schon was ziemlich Grusliges zusammen.)
-
In Russland wurde die Vertriebslizenz des Films widerrufen, was einem Aufführverbot gleich kommt. Grund: angebliche Verunglimpfung der sowjetischen Geschichte...
-
1
-
-
Schöne Eindrücke, danke Lars (und danke Ewigmorgig für die verlinkte Kritik!).
Ich kann gut verstehen, was Lars meint: PHANTOM THREAD, und vielleicht generell kunstmusikalisch geprägte Musik, hat einen eher altmodisch-affektierten Zugang zur Emotion. Aufgeladen, schwer, etwas feudal, aber auch ein bisschen artifiziell und unnahbar... heutzutage ist sowas völlig aus der Mode, die Menschen empfinden nicht mehr so, und deswegen ist sowas in der Filmmusik auch kaum noch anzutreffen. Mich persönlich erreicht dieses Affektiert-Artifizielle viel eher, da es mir einen breiteren emotionalen Zugang ermöglicht. Im Gegensatz zu "normaler" moderner Filmmusik, die einen emotional immer sehr stark in eine bestimmte Richtung drängt, habe ich hier das Gefühl, mir mehr aussuchen zu können. Es ist uneindeutiger und für mich damit reicher.
Was ich aber mindestens genauso wichtig finde wie das Emotionale ist der Aspekt des Klangsinnlichen. Wieso begreifen wir Musik denn immer nur als Medium und Transportmittel, das uns etwas übermitteln muss, wie ein Postbote? Die Emotion ist ja letztendlich nur etwas, was Musik transportiert, es ist nicht die Musik selbst. Wieso erfreuen wir uns nicht genauso sehr am Sinnlichen des Klanges und der Klangkombinationen? Der wunderschöne Klang der Bratsche, der Harfe, der Streicherwolken, der Hämmer, die die Klaviersaiten anschlagen... Oder auch an der Schönheit von Harmonik als solcher, an den speziellen Tonleitern, die Greenwood benutzt, und die man als Hörer auch ganz sinnlich-primitiv, wie den Geschmack eines Essens wahrnehmen kann. Das, was dadurch an Inhalten, Ideen oder Emotionen transportiert wird (also das Sekundäre), ist bei solchem Hör(!)genuss manchmal fast nur noch ein Bonus für mich...
-
1
-
-
Dank Angus Gunn bin ich nun vor kurzem auch in den Genuss zumindest des ersten Sarde-Scores des Laurent-Heynemann-Sets, IL FAUT TUER BIRGITT HAAS, gekommen.
Ich hatte grobe Erinnerungen an die Musik, da ich den Film vor Jahren mal in einer schlechten 4:3-Fassung mit englischen Untertiteln gesehen habe - damals gefiel mir der gläsern-entrückte Charakter der Streicherkomposition schon ausgesprochen gut, habe aber dann doch vergessen, weiter nach der Musik auf CD Ausschau zu halten.
Jetzt höre ich die Musik das erste Mal losgelöst vom Film, und es entfalten sich im detaillierten Hören noch einige Reize mehr. Allein schon wie am Ende des langen, sich dissonant windenden Suspense-Satzes "Filature dans Munich" die Streicher-Pizzicati vollkommen irreal ins Geschehen einsteigen, und die Morbidität und Düsternis des Tracks mit zaghaftem, außerweltlichem Licht füllen - das ist schon ungeheuer feinsinnig und kunstvoll gemacht.
(Besonders schön, wie die Pizzicati immer nur ganz kurz auf einen Dur-Akkord kommen und sonst im melancholischen Moll bleiben. Durch diese extrem kurzen Dur-Momente - bei 3:56 oder 4:04 - klart die Musik für einen winzigen Moment auf, und bekommt diesen wundersamen Glanz, wie er so typisch für Sarde ist. Wunderschön!)
Wäre auch in der Tat auch was für unseren "Wenn Technik zur Kunst wird"-Thread.
-
Nach längerer Beschäftigung mit der Musik muss ich sagen, dass PHANTOM THREAD in der Tat Greenwoods ausgefeilteste und tiefste Musik seit THERE WILL BE BLOOD ist. Staunen lässt allein schon, wie farbig und abwechslungsreich Greenwood die begrenzte Besetzung aus Streichern, Harfe und Klavier nutzt - aber auch die thematische Arbeit ist enorm reich und differenziert, ebenso wie die psychologische Ausleuchtung der Charaktere durch Rhythmik, Harmonik und Instrumentierung. Die Sichtung des Films wird wohl noch mehr Aufschluss über die psychologischen Dimensionen geben, aber einige Dinge springen auch so schon deutlich ins Auge bzw. Ohr.
(Für die, die noch nichts Näheres über den Film wissen: es geht um einen alternden Modedesigner im London der 50er Jahre, der eine Beziehung mit einer wesentlich jüngeren Frau beginnt. Leidenschaftlich, aber dominierend, betrachtet er die Frau als Muse, die sich dem Genie unterzuordnen hat... doch im Verlauf gewinnt die Beziehung an Dynamik.)
Hier mal der Versuch eines Track-by-Track-"Reiseführers" durch die Musik:
1. Phantom Thread I
Das Hauptthema für Modeschöpfer Reynolds Woodcock in der ersten von insgesamt vier Variationen. Das barock und streng anmutende Thema im starren 4/4-Takt (in dem sich einerseits Ordnung und Präzision, andererseits aber auch Affektiertheit und emotionale Abgründe spiegeln) in einer zerbrechlichen, an den Anfang von Wagners Lohengrin-Vorspiel erinnernden Version für Streicher in höchsten Lagen. Das extreme Vibrato und der fast "schreiende" Charakter ziehen den Streichersatz ins Schmerz- und Wahnhafte. Klassische Formvollendung und absolute madness gehen hier Hand in Hand, und zeichnen schon im ersten Track das perfekte Porträt des genialen, aber innerlich völlig zerrütteten Künstlers.
2. The Hem
Eine karge Einleitung aus angerissener Harfe und hölzernen Schlägen auf den Klavierkorpus eröffnet dieses klanglich zerklüftete Stück, das in einer alternativen Version auch im Trailer verwendet wurde und mit seinen minimalistischen Repetitionen von Streichquartett und Klavier das Zwanghafte und Obsessive in Woodcocks Persönlichkeit illustriert. Die Tonstufen, die das Stück durchläuft, bilden eine oktatonische Tonleiter: Greenwood-typisches Sinnbild für Obsession, Paranoia und Co. (siehe auch INHERENT VICE).
3. Sandalwood I
Der schimmernde, an den Minimalismus von John Adams erinnernde Satz für Streichquartett, Harfe und Klavier ist das erste Stück, das Woodcocks Beziehung mit Alma thematisiert (der Titel bezieht sich auf Almas Vorliebe für den Duft von Sandelholz). Das Stück versprüht eine elegante Frische und stellt dem obsessiv-dunklen Antrieb von "The Hem" einen positiven, hellen, "verliebten" Antrieb entgegen. Außerdem bricht das Stück auch rhythmisch mit dem Woodcock-Thema aus "Phantom Thread I-IV": Greenwood etabliert hier einen erfrischenden, ungeraden 5/4-Takt, der später auch "Alma" und "Sandalwood II" prägen wird. Woodcock wird von seiner Liebe zu Alma förmlich "aus dem Takt" gebracht...
4. The Tailor of Fitzrovia
Einer der m.E. eher unwichtigeren Tracks des Albums, den man auch hätte streichen können (der Übergang von "Sandalwood I" zu "Alma" ist nämlich konzeptionell super passend, und auch klanglich viel schöner). Nichtsdestotrotz: in diesem Track setzt Greenwood das Klavier mit Dämpfpedal erstmals besonders prägnant ein - eins der wichtigsten Klangmerkmale der Musik.
5. Alma
Mit dem 5/4-Takt schließt Greenwood an "Sandalwood I" und die musikalische Welt Almas an. Zwischen regelmäßigen Viertel-Akkorden des Klaviers lugt zaghaft die Bratsche hervor (interessant: die Bratsche kommt auf der mittigen 3 des Takts, und wird von jeweils zwei Klavier-Vierteln umrahmt/eingezwängt - ein musikalisches Symbol für die Einzwängung Almas durch den (zunächst) dominanten Woodcock?).
Nach und nach treten weitere Streicher hinzu und verwischen diese klare Struktur - die Streicher wuchern immer mehr über die starren, mächtigen, "männlichen" (?) Viertel-Akkorde des Klaviers hinweg. Alma etabliert sich.
6. Boletus Felleus
Greenwood im seltenen Suspense-Modus. Viele werden den Track wohl eher als nicht-essentiell betrachten, aber obacht: wie Greenwood hier Harfe, Streicher und Holzbläser (übrigens neben "Never Cursed" das einzige Stück im Score, in dem Holzbläser eingesetzt werden!) zu einem hintergründigen, dunklen Dickicht verwebt, ist schon großes Tennis. Toll vor allem der sich gegen Ende herausschälende Kontrabass.
7. Phantom Thread II
Die zweite Variation von Woodcocks Thema, nun kammermusikalisch für (gedämpftes) Klavier und Bratsche gesetzt. Hier kommt der barocke, an Bachs Klaviermusik angelehnte Charakter des Themas besonders zur Geltung. Der Dialog der Instrumente lässt sich auch hier als Dialog zwischen Woodcock und Alma deuten, waren Bratsche und Solo-Streicher schließlich schon in "Sandalwood I" und "Alma" weiblich konnotiert. Der Bratschenpart hat motivische Ähnlichkeit sowohl mit Woodcocks Thema als auch mit den Motiven aus "Alma" - die beiden Charaktere scheinen hier auf komplexe Weise miteinander zu verschmelzen. (Die Noten zum Stück findet ihr auf Seite 1 des Threads.)
8. Catch Hold
Das gedämpfte Klavier irrlichtet hier gespenstisch vor einem neblig-diesigen Cluster der Streicher - vielleicht eine der atmosphärischsten Passagen des ganzen Scores. Greenwood nutzt in diesem Stück nur die weißen Tasten des Klaviers, jedoch nicht als C-Dur-Skala, sondern als harmonisch nicht wirklich greifbare Tonwolke, die in ihrem An- und Abschwellen Erinnerungen an György Ligetis "Atmosphères", aber auch an Greenwoods eigenes Konzertwerk "Popcorn Superhet Receiver" weckt.
9. Never Cursed
In diesem ebenfalls eher flächig angelegten Satz greifen kleine Streicherbesetzung und vereinzelte Holzbläser ineinander, und wiederholen ein in sich kreisendes Motiv, das von anderen Stimmen im Verlauf immer dramatischer umspielt wird. Der leicht schmerzhafte Charakter des Stücks erinnert an ähnlich instrumentierte Sätze aus THE MASTER, fällt aber in diesem Score etwas aus dem Rahmen und bringt den Albumschnitt an dieser Stelle auch ins Stocken. Ich habe den Track aus meiner persönlichen Sequenzierung herausgenommen.
10. That's As May Be
Die Harfe hat ihren großen Auftritt in diesem kurzen, Intermezzo-haften Track, den man als eine der wenigen "Actionpassagen" des Scores bezeichnen könnte. Atemlos rast die Harfe durch C-Dur-, Fis-Dur-, Es-Dur- und A-Dur-Akkorde (Harmonien im Kleinterz-Abstand und Bestandteil einer oktatonischen Skala), begleitet von herrmannesquen Streichern, die bei 0:43 für drei Takte zum Streichquartett ausgedünnt werden - drei Takte totale Entrückung, und eine der schönsten und kunstvollsten Passagen des ganzen Scores! (Die oktatonische Skala, die Grundlage des Satzes ist, verbindet das Stück mit "The Hem" - genau wie dort zeichnet die Tonleiter, mit ihrem aufgekratzt-nervösen Charakter, Woodcocks paranoide Obsessionen nach.)
11. Phantom Thread III
Woodcocks Thema in der dritten Variation, für volles Streichorchester plus Pauke. Klassizistisch-erhaben, aber auch schicksalhaft gesteigert präsentiert Greenwood das Thema hier in großer, ausladender Geste. Auf Movie Music UK vergleicht Jonathan Broxton die Variation stilistisch mit Wojciech Kilar - durchaus zutreffend, wie ich finde.
12. I'll Follow Tomorrow
Eine kurze, aber stimmungsvolle Solo-Passage für das gedämpfte Klavier, die mich in den schnellen Sechzehntel-Kaskaden bei 0:14 und 0:53 stark an das Klavierquartett "Eat Him By His Own Light" aus THERE WILL BE BLOOD erinnert hat. Das Stück knüpft an "Phantom Thread II" an und ist eindeutig Woodcock zugeordnet - die Klarheit des Klaviersatzes aus "Phantom Thread II" weicht hier jedoch einer fast wahnhaften Sprunghaftigkeit. Das rhythmisch ungebundene, frei variierende Spiel des Klaviers mit seinen wilden Verzierungen wirkt irrsinnig und übergeschnappt (toll, wie in der Mitte des Stücks eins dieser verrückten Ornamente in tiefen Lagen vollkommen verschwimmt, und nur noch als bedrohliches, schepperndes Dröhnen wahrnehmbar ist - der Abstieg in die völlige madness sublim in Musik übersetzt).
13. House of Woodcock
Erst sehr spät kommt auf dem Album dieser wichtige Track, der den Film eröffnet. "House of Woodcock" fungiert als musikalisches "Aushängeschild" des Modedesigners und seiner Haute Couture. Die Musik ist reine Fassade und steht für die Art und Weise, wie Woodcock sich und sein Mode-Label der Welt präsentiert: schick, luxuriös und hochpreisig. Die Musik umschmeichelt den Hörer so, wie Woodcock seine Kundschaft mit feinsten Modekreationen umschmeichelt - ein sehr zutreffender Kommentar einer YouTube-Nutzerin lautet: "Listening to this feels like a warm, cozy blanket wrapped around me.". Seine stilistischen Vorbilder - Streichersätze aus berühmten Jazz-Aufnahmen der 50er und 60er Jahre - hatte Greenwood bereits in Interviews verraten. Von Woodcocks seelischen Abgründen ist in dieser Musik jedenfalls nicht das Geringste zu spüren.
14. Sandalwood II
Eine Rückkehr zu Almas "Sandalwood"-Thema im 5/4-Takt, dieses Mal jedoch doppelt so langsam, und in seiner Wirkung noch impressionistischer als "Sandalwood I". Durch das verlangsamte Tempo lassen sich die Strukturen der Musik (stufenweises Aufsteigen bzw. "Auffächern" der Akkorde) hier noch besser nachvollziehen als im ersten "Sandalwood"-Satz.
15. Barbara Rose
Für eine komödiantisch-groteske Szene, in der Alma und Woodcock gemeinsam den Mode-Entwurf für eine alkoholabhängige Kundin zerstören, schrieb Greenwood den musikalisch wohl anspruchsvollsten Satz der Partitur - einen ekstatisch anmutenden Tanz für kleine Streichquartett-Besetzung, der im Verlauf immer deutlicher den Charakter einer Tarantella annimmt. Über einem regelmäßig gezupften Grundschlag der tiefen Streicher liefern sich zwei stereophon gegenübergestellte Bratschen ein Duell und imitieren sich gegenseitig. Das Motiv, das dabei ständig wiederholt wird, erinnert an eine umgedrehte, quasi "auf dem Kopf stehende" Variante von Woodcocks Thema. Die solistischen Streicher (v.a. die Bratschen) verorten die Musik dagegen im Weiblichen und bei Alma. Woodcock und seine geordnete Welt werden von den wild tanzenden Streichern (also von Almas wilder Weiblichkeit) völlig auf den Kopf gestellt, sein Thema wird spielerisch "verkehrt" - das Ganze geschieht jedoch nicht ohne Genuss, denn trotz des Chaos und der Ekstase fühlt sich das Stück nicht wie eine Bedrohung, sondern eher wie eine Befreiung an (insbesondere gegen Ende, wenn sich die Harfe enthusiastisch ins musikalische Geschehen einmischt). Woodcock gibt sich Almas spielerischem Drang bereitwillig hin und öffnet sich einer neuen Welt. Insgesamt eine der optimistischsten Passagen des gesamten Scores.
16. Endless Superstition
Auf den ersten Blick steht dieser wohlklingende Streichersatz in enger Verwandtschaft zu Woodcocks eleganter "Fassadenmusik" in "House of Woodcock". Warm und harmonisch umschmeicheln den Hörer gebrochene Dur-Dreiklänge, die sich wie ein endloser Strudel in die Gehörgänge nagen. Die Endlosigkeit der Dreiklänge ist hier aber auch subtiler Ausdruck von Abgründigkeit: die Musik scheint sich zu verlieren, setzt immer wieder auf neuen Tonstufen an, erreicht aber nie ein Ziel. Stimmungsmäßig finde ich das vergleichbar mit dem "Shasta Fay"-Thema aus INHERENT VICE.
17. Phantom Thread IV
Die vierte und letzte Variation über Woodcocks Thema, in der reduziertesten Form - nur für Bratsche solo. Durch viele Doppelgriffe entsteht hier ein sehr voller Klang, was wohl auch Jonathan Broxton zu seiner Annahme verleitet hat, hier würden mehrere Instrumente spielen. Ist aber in der Tat nur die Bratsche. Ich finde leider die Aufnahme furchtbar, deswegen habe ich den Track aus meiner Playlist herausgenommen.
18. For the Hungry Boy
Mit diesem versöhnlichen Schlusstrack, in dem Klavier und Streicher an die warme Luxuriösität von "House of Woodcock" und "Endless Superstition" anknüpfen, endet das Album. Die Musik suggeriert ein makelloses Happy End - oder ist das letztendlich alles nur Verdrängung, und Woodcocks künstliche Fassade hat gewaltsam die Oberhand gewonnen? Ich sehe nächste Woche den Film, und bin sehr gespannt, ob die Musik hier tatsächlich den krassen Kontrapunkt zu einem richtig finsteren Ende bildet, wie ihn Jonathan Broxton in seiner Rezension beschrieben hat.
Zusammenfassung? Wie ich finde, hat sich Jonny Greenwood mit PHANTOM THREAD endgültig als eine Art Bernard Herrmann unserer Zeit etabliert - ein meisterhafter musikalischer Figurenzeichner, der mit heutzutage selten gehörter psychologischer und emotionaler Tiefe an die goldenen Zeiten der Filmmusik anknüpft. Schon seit Jahren habe ich keine so akribische musikalische Nachzeichnung einer Figur und ihrer Beziehung mehr gehört. Woodcocks Innenleben (das "Phantom Thread"-Thema), seine Fassade ("House of Woodcock"), die Welt der Frau, die ihn herausfordert (impressionistisch-lieblich in "Sandalwood", tänzerisch-selbstbewusst in "Barbara Rose") oder sich ihm schüchtern fügt ("Alma") - all das vereint Greenwood in einer komplexen und zugleich (!) sinnlich-klangschönen Komposition, die auch für den Kenner und analytisch interessierten Hörer ein wahres Füllhorn an musikalischen Symbolen und Querverbindungen bereit hält. Chapeau, Jonny!
Ich hoffe, dass ich mit meiner Track-by-Track-Beschreibung dem ein oder anderen helfen konnte, sich diese schöne Musik zu erschließen. Danke fürs Lesen.
-
3
-
1
-
-
Man dankt.
-
1
-
Was ist eigentlich... #1: Das Ostinato
in Musiklexikon
Geschrieben
Als Ostinato bezeichnet man in der Musik eine musikalische Figur, die (meist im Bass) stetig wiederholt wird - entweder in Form einer Tonfolge oder einer Rhythmusfigur.