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Neues Goldsmith-Buch


Jonas Uchtmann
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Folgendes habe ich vor einigen Tagen auf FSM entdeckt: 

http://www.amazon.com/Goldsmith-Scoring-American-Movies-ebook/dp/B00AGOD8JK 

Es handelt sich um die (hoffentlich stark bis sinnentstellend) gekürzte und übersetzte Fassung einer italienischen Dissertation, die es vor einiger Zeit schon mal in Printfassung gegeben hat, inkl. recht großzügiger Leseproben. Ich hatte damals keine Lust, mich durchs Italienische zu quälen, zumal das Buch dann relativ schnell wieder in der Versenkung verschwunden war. 

Umso mehr gefreut habe ich mich über dieses E-Book, das es auch bei iTunes gibt. Beim Lesen setzte allerdings, obwohl ich bei DEM Thema sicherlich ein ganz besonders geneigter Konsument bin, schnell Ernüchterung ein. Der Fokus ist weder biografisch noch musikanalytisch, sondern eher allgemein film(musik)historiografisch, wobei Goldsmith als repräsentativer (wenn auch überdurchschnittlich versierter) Filmkomponist in die amerikanische Filmindustrie kontextualisiert wird. Goldsmith-Kenner dürften hier kaum Neues erfahren, was vor allem der eher dürftigen Quellen- und Literaturbasis zuzuschreiben ist. Es fehlen wesentliche Interviews, Monografien der Filmmusikliteratur sowie Internetquellen, auch bei den erfolgten Archivstudien bin ich eher skeptisch. Die Notenbeispiele stammen fast ausschließlich aus ... "kursierenden" Partituren oder aus leihweise relativ einfach zu beschaffendem Material. In die Staaten hätte man dafür jedenfalls nicht reisen müssen. 

Gaaanz kritisch wird, als Gegensatz zum europäischen Auteur-Gedanken, die Instrumentationsgewohnheit der meisten amerikanischen Filmkomponisten, also auch von Goldsmith oder Williams, beleuchtet. Dabei wird natürlich zugestanden, dass man im System Hollywood ohne Orchestrator in der Regel nicht auskommt, allerdings scheint sich der Autor tendenziell eher hinter Morricone oder Herrmann zu stellen und in dieser Praxis einen gravierenden ästhetischen Lapsus zu sehen. Äußerungen von Goldsmith et al., stets vollständige Particelle zu erstellen, werden zwar zitiert, aber zunächst nicht exemplifiziert oder diskutiert. Danach ergeht sich der Autor dann in Mutmaßungen darüber, wann Goldsmih welchen Orchestrator (warum) eingesetzt habe: Arthur Morton "was chosen as an aide for the most complex scores" und Alexander Courages "touch is apparent in scores in need of an higher skill". An anderer Stelle wird gesagt, Courage sei der Mann fürs Strauss'sche und Respighi'sche - lachhaft, wenn man bedenkt dass sowohl BLUE MAX und NIGHT CROSSING als auch LOGAN's RUN natürlich Morton-Orchestrationen sind! Zu David Tamkin fällt Dupuis gar nichts ein (dabei war er für einige der komplexeren Goldsmith-Scores der 60er zuständig, etwa SAND PEBBLES, SPIRAL ROAD, 100 RIFLES oder HOUR OF THE GUN). McKenzie wird indirekt dafür verantwortlich gemacht, dass Goldsmith in seinen letzten Scores konventionelle Besetzungen verwendet habe. 

Dass auch Orchestratoren viel beschäftigte Menschen sind, die nicht immer auf Wunsch des Komponisten springen können, der Gedanke kommt Dupuis nicht - auch dass die Handvoll von Goldsmith selbst orchestrierten Score keinen Deut anders klingen als andere Arbeiten ihres zeitlichen Umfeldes, wird nicht thematisiert. Am Ende entwertet Dupuis seine seitenlangen Hypothesen durch den Befund, dass Goldsmith angesichts seiner ausführlichen Particelle (warum erst hier?) vermutlich doch Herr seiner instrumentatorischen Entschlüsse gewesen sei, selbst. So nach dem Motto: Nichts Genaues weiß man nicht ... 

Ansonsten frappiert an Merkwürdigkeiten, neben einigen falschen Jahreszahlen und Schreibweisen, dass auf zig Seiten die Goldsmith-Verhoeven-Connection als des Meisters wichtigste Regiebeziehung gewürdigt wird, während Goldsmith-Schaffner, Goldsmith-Frankenheimer u. a. eher en passant erwähnt werden. Dupuis scheint ohnehin eher ein Fan des späten Goldsmith zu sein, etwa wenn er allen Ernstes FIRST KNIGHT als größte Abenteuermusik Goldsmiths preist. Über weite Strecken wird gerade gegen Ende des Buches, etwa im STAR TREK-Kapitel, unkritisch italienische Literatur ohne jedwede Quellenkritik zitiert. 

Als wissenschaftlich wird man die Publikation in dieser Form kaum bezeichnen dürfen. Verglichen bspw. mit dem Moormann-Buch über Williams ist das hier doch recht schwach.

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Ich fand es ganz neckisch, viele der zusammengetragenen Informationen besitze ich ja in der Form nicht (Interviews, Produktionsinfos), die Schlüsse und den Fokus des Autors finde ich dabei nicht so relevant, das macht ja bestenfalls kurze Passagen aus.

 

Aber verglichen mit den Aussichten des biografischen Buchs von Goldsmiths Tochter ist das sicher nicht mehr als eine Fußnote.

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Ich fand es ganz neckisch, viele der zusammengetragenen Informationen besitze ich ja in der Form nicht (Interviews, Produktionsinfos), die Schlüsse und den Fokus des Autors finde ich dabei nicht so relevant, das macht ja bestenfalls kurze Passagen aus.

 

Aber verglichen mit den Aussichten des biografischen Buchs von Goldsmiths Tochter ist das sicher nicht mehr als eine Fußnote.

Allerdings. Selbst die daraus verfügbaren Ausschnitte hätten bspw. das biografische Kapitel deutlich aufwerten können.

Reizvoll ist es natürlich schon, einmal 200 Seiten am Stück zum Thema Goldsmith zu lesen, allerdings sollte - das muss ich Dir ja nicht erzählen - der Erkenntniswert einer Dissertation schon über reine Faktografie und Allgemeinplätze (auch in der häufig kursorischen Beschreibung einzelner Scores) hinausgehen. Wo immer Dupuis das versucht, wird es schnell reichlich kraus, neben dem schon erwähnten verwundert z. B. auch die wiederholte Behauptung, Goldsmiths Arbeiten im dramatischen und Komödiengenre seien wenig bedeutend.

Was die wissenschaftliche Redlichkeit angeht, wird zwar nicht in vergleichbarer Weise Schindluder getrieben wie im Falle Guttenberg, aber einige der unbelegten "Ondits" stoßen schon auf, bspw. im TREK-Kapitel. Möglich, dass einiges an Fußnoten dem Lektorat zum Opfer gefallen ist - ich glaube aber eher nicht daran, denn warum haben dann die überflüssigen Angaben zum Lautstärkebereich diverser exotischer Instrumente aus irgendeiner italienischen Instrumentenkunde überlebt? Die sind sowohl inhaltlich als auch von der Belegpflicht her überflüssig.

Noch mal: ich will niemandem von der Lektüre abhalten, informativ ist manches sicherlich. Aber meine Erwartungen habe sich - leider - nicht erfüllt.

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