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MISSION: IMPOSSIBLE - oder warum Tritonus und Jazz-Harmonik dem Publikum nicht mehr zugemutet werden


Sebastian Schwittay
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Da mich @TheRealNeo in einem anderen Thread gebeten hat, es nÀher zu erlÀutern: 

Seit Lorne Balfe die MISSION: IMPOSSIBLE-Scores ĂŒbernommen hat, reduziert sich nicht nur die KomplexitĂ€t der Instrumentierung, sondern auch die Jazz-Harmonik im Hauptthema ("Mission: Acomplished" oder "Curtain Call" auf den Score-Veröffentlichungen der letzten Filme). 

Besonders auffĂ€llig ist das beim Schlussakkord, der bei Schifrin (und auch bei Elfman, Giacchino und Co.) eine sehr jazzige Wendung aufweist. Das finale DA-DAAAA ist in der Melodie ein Sprung von F nach G. Das G ist Grundton des Themas, aber statt in der Akkordbegleitung einfach nur zur Grundharmonie g-moll zu wechseln, wĂ€hlt Schifrin einen Es-Dur-Akkord in der 2. Umkehrung (b - es - g) und wĂŒrzt ihn sehr prĂ€gnant mit einem Des im Bass! Ein aufregender und abenteuerlicher Akkord, nicht zuletzt, weil das Des ein Tritonus zu G und damit eine Dissonanz zum Grundton ist!

M_I.thumb.jpg.bee01002de1572d401aa2bea4a9d785c.jpg

 

Balfe macht nichts dergleichen: in FALLOUT springt er an der Stelle (F > G) lediglich in eine Harmonie auf C. Relativ langweilig, da C einfach nur die Subdominante von G ist, und auch im Bass keine weitere Reibung oder Dissonanz mehr vorhanden ist. 

 

In DEAD RECKONING lÀsst er den Akkord an der Stelle, an der er kommen sollte, ganz weg. 

 

In FINAL RECKONING wechseln Max Aruj und Alfie Godfrey nicht mal mehr nach C, sondern einfach nur zurĂŒck nach g-moll, also zur Tonika. Langweiliger geht es nicht. 

 

Fazit: es findet eine extreme Vereinfachung des harmonischen Ausdrucks statt. Offenbar möchte man dem jungen Publikum keine jazzige Harmonik mehr zumuten und hĂ€lt deswegen alles so einfach und clean wie möglich. Was am Ende ĂŒbrig bleibt, ist nur noch das Hauptmotiv als Gerippe und der prĂ€gnante 5/4-Takt. 

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Sehr interessant, das so direkt im Vergleich auch zu hören und ja das ist dann doch klar ein Unterschied hörbar.
Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich es als langweiliger bezeichnen wĂŒrde, nur frage ich mich eben auch, ob das wirklich bewusst so gemacht wird, weil man es der heutigen Hörerschaft nicht mehr zumuten möchte? Oder will man da einfach nur was anders machen?

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Ich wĂŒrde schon sagen, dass das bewusst gemacht wird, weil es eben „poppiger" und glatter klingt. Und damit den aktuellen Hörgewohnheiten mehr entspricht. Wobei ich tatsĂ€chlich bezweifle, dass dem normalen KinogĂ€nger, der jetzt nicht so Musik-affin ist, der Unterschied wirklich auffĂ€llt. Das ist dann eher unterbewusst. 

Gibt es das bei anderen „alten" Themen eigentlich auch? Bei James Bond beispielsweise? Mal abgesehen vom Arrangement, das sich je nach Komponist natĂŒrlich immer mal verĂ€ndert hat. Zimmer hat bei NO TIME TO DIE die E-Gitarre im Thema wieder eingesetzt, also Barrys Arrangement aus DR. NO ĂŒbernommen, welches bei Barry danach auch lange zum Einsatz kam. Moby hat 1997 eine neue Version des Themas produziert und dabei beispielsweise die charakteristischen BlĂ€ser im zweiten Teil des Themas weggelassen, wodurch sich das Ganze auch schon anders anhört. Aber das sind eben alles andere Arrangements oder wurde da auch das Thema mal in den Tonarten oder Harmonien verĂ€ndert?

 

 

Und beim ersten MISSION: IMPOSSIBLE gab es damals ja auch eine extra fĂŒr eine Single-Veröffentlichung produzierte Version des Themas, produziert von Adam Clayton und Larry Mullen von U2.

 

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vor 5 Stunden schrieb TheRealNeo:

Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich es als langweiliger bezeichnen wĂŒrde

Auf jeden Fall ist es eine Regression. Das spĂ€te 19. und das 20. Jahrhundert haben unsere Harmonik erweitert, bereichert und an den Rand der TonalitĂ€t gebracht. Seit dem Siegeszug der Minimal Music entwickeln wir uns wieder zurĂŒck zur einer primitiven Harmonik der Grundakkorde (Tonika, Subdominante, Dominante). Manche werfen den Parameter Harmonik sogar komplett ĂŒber Bord und bleiben nur auf einem einzelnen Ton oder rhythmischen Grundmuster (siehe auch die Entwicklungen hin zum reinen Sprechgesang in der Popmusik). 

Dass mittlerweile nun auch schon Klassiker des Jazz (einer einst populĂ€ren Musikform) derart "umgeschrieben" werden, finde ich schon sehr trist. Hat ja auch was mit Überlieferung und Vermittlung zu tun. Heutzutage schreibt man Altes lieber um, damit es in den Zeitgeist passt. 

vor 4 Stunden schrieb Alexander Grodzinski:

Aber das sind eben alles andere Arrangements oder wurde da auch das Thema mal in den Tonarten oder Harmonien verÀndert?

Höre ich bei deinen Beispielen eigentlich nicht. Bei der Clayton/Mullen-Version des M:I-Themas ist der Jazz-Akkord am Ende auch drin - zwar nur gesampelt vom Original, aber immerhin. In den 90ern konnten das PopulÀre und das Kunstvoll-Traditionelle eben noch nebeneinander bestehen, ohne dass eins davon an das andere angeglichen werden musste. 

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Am 17.6.2025 um 23:42 schrieb Sebastian Schwittay:

Da mich @TheRealNeo in einem anderen Thread gebeten hat, es nÀher zu erlÀutern: 

Seit Lorne Balfe die MISSION: IMPOSSIBLE-Scores ĂŒbernommen hat, reduziert sich nicht nur die KomplexitĂ€t der Instrumentierung, sondern auch die Jazz-Harmonik im Hauptthema ("Mission: Acomplished" oder "Curtain Call" auf den Score-Veröffentlichungen der letzten Filme). 

Besonders auffĂ€llig ist das beim Schlussakkord, der bei Schifrin (und auch bei Elfman, Giacchino und Co.) eine sehr jazzige Wendung aufweist. Das finale DA-DAAAA ist in der Melodie ein Sprung von F nach G. Das G ist Grundton des Themas, aber statt in der Akkordbegleitung einfach nur zur Grundharmonie g-moll zu wechseln, wĂ€hlt Schifrin einen Es-Dur-Akkord in der 2. Umkehrung (b - es - g) und wĂŒrzt ihn sehr prĂ€gnant mit einem Des im Bass! Ein aufregender und abenteuerlicher Akkord, nicht zuletzt, weil das Des ein Tritonus zu G und damit eine Dissonanz zum Grundton ist!

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Balfe macht nichts dergleichen: in FALLOUT springt er an der Stelle (F > G) lediglich in eine Harmonie auf C. Relativ langweilig, da C einfach nur die Subdominante von G ist, und auch im Bass keine weitere Reibung oder Dissonanz mehr vorhanden ist. 

 

In DEAD RECKONING lÀsst er den Akkord an der Stelle, an der er kommen sollte, ganz weg. 

 

Was am Ende ĂŒbrig bleibt, ist nur noch das Hauptmotiv als Gerippe und der prĂ€gnante 5/4-Takt. 

Und darĂŒber sollte man froh sein. FĂŒr den ersten Mission: Impossible hatten Clayton und Mullen das Thema im 4/4 Takt eingespielt. Entsetzlich! Aber was Balfe da macht, klingt nicht gut. Vielleicht versteht er nichts von Jazz-Harmonik.

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vor 9 Stunden schrieb Mistermaffay:

Danke Sebastian! 
Du bestÀtigst damit sehr eloquent und wissenschaftlich untermauert meine Theorie zur Degeneration in der (Film)musik. 

Ich versuche mich immer diplomatisch auszudrĂŒcken, aber ja: Degeneration trifft es letztlich auch. :D 

Dabei sind es ja oft gar nicht mal die Komponisten, was mich zu @magnum-p.i.s Kommentar fĂŒhrt...

vor 6 Stunden schrieb magnum-p.i.:

Vielleicht versteht er nichts von Jazz-Harmonik.

Als ausgebildeter Komponist wird Balfe sicher auch ein Jazz-Arrangement schreiben und die passende Harmonik verwenden können.

Am Ende liegt das Übel wohl eher in den digitalen Workflows, die sich inzwischen verselbstĂ€ndigt haben: alles muss schnell gehen, alles muss spontan schneid- und abĂ€nderbar sein (bis zum Vorabend der Endmischung, versteht sich!), weshalb es fĂŒr den "Dienstleister" praktischer und effizienter ist, in der ausgelieferten Ware so simpel wie möglich zu bleiben. Das, verbunden mit dem unseligen Narren, den die Filmindustrie seit Ende der 90er an Minimal Music und New-Age gefressen hat, bringt uns an den Punkt, an dem wir heute sind. 

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vor 14 Stunden schrieb magnum-p.i.:

Und darĂŒber sollte man froh sein. FĂŒr den ersten Mission: Impossible hatten Clayton und Mullen das Thema im 4/4 Takt eingespielt. Entsetzlich! 

Eben auch hier, weil es gefĂ€lliger und poppiger klingt. Und somit geeigneter fĂŒr einen Chart-Hit. 

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vor 10 Stunden schrieb Sebastian Schwittay: Als ausgebildeter Komponist wird Balfe sicher auch ein Jazz-Arrangement schreiben und die passende Harmonik verwenden können.

Am Ende liegt das Übel wohl eher in den digitalen Workflows, die sich inzwischen verselbstĂ€ndigt haben: alles muss schnell gehen, alles muss spontan schneid- und abĂ€nderbar sein (bis zum Vorabend der Endmischung, versteht sich!), weshalb es fĂŒr den "Dienstleister" praktischer und effizienter ist, in der ausgelieferten Ware so simpel wie möglich zu bleiben. Das, verbunden mit dem unseligen Narren, den die Filmindustrie seit Ende der 90er an Minimal Music und New-Age gefressen hat, bringt uns an den Punkt, an dem wir heute sind. 

Ich gehe ebenfalls davon aus, dass Komponisten wie Lorne Balfe in der Lage wĂ€ren ganz andere, geistreichere und anspruchsvollere Musik zu schreiben (in seiner Musik zur Genius Picasso Serie zeigt er das recht gut, finde ich). Jedoch ist er, wie Sebastian bereits sagte, in erster Linie als Dienstleister tĂ€tig und stellt offenbar die Faktoren Zeit, SimplizitĂ€t und AnpassungsfĂ€higkeit ÜBER die eigentliche Kunst. 
Aus wirtschaftlicher Sicht kann ich das absolut nachvollziehen. Das Problem ist nur, dass man somit einem erschreckenden AbwÀrtstrend frönt. 
Vielleicht denken sich ausgebildete Komponisten wie bspw. Lorne Balfe auch einfach Folgendes: Wenn diese degenerierte moderne Gesellschaft unbedingt „Dreck“ hören will und sich keiner beschwert, liefere ich das halt. Ist sowieso einfacher und ich muss mir meinen sĂŒĂŸen kleinen Kopf nicht zerbrechen um meine Komposition auf das nĂ€chste Level zu heben.. 

 

Goldsmith wird sich im Grabe umdrehen
. 😂 

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vor 8 Stunden schrieb Mistermaffay:

Wenn diese degenerierte moderne Gesellschaft unbedingt „Dreck“ hören will und sich keiner beschwert, liefere ich das halt. 

Ich glaube auch, dass es mehr ein gesellschaftliches Problem ist, und Musiker/Komponisten sich dem anpassen mĂŒssen. Wenn du zu kompliziert schreibst, wirst du irrelevant. Komplexe Idiome werden nur noch dort toleriert, wo es Zeitkolorit oder (passender) Background ist: bei historischen Stoffen, bei Stoffen ĂŒber klassische Musiker, usw.

Die Gegenwart soll davon aber bitte nicht mehr "belĂ€stigt" werden, denn das Alte haben wir ja ĂŒberwunden... :rolleyes: 

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vor 10 Minuten schrieb Sebastian Schwittay: Die Gegenwart soll davon aber bitte nicht mehr "belĂ€stigt" werden, denn das Alte haben wir ja ĂŒberwunden... :rolleyes: 

Ja genau. Der alte weiße Mann mit seiner komplexen Komposition ist sooo oldschool .. und diese avantgardistischen Spitzen sind sicher toxisch und dies kann man einer jungen, aufgeklĂ€rten Gesellschaft nicht zumuten 😉 

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vor 8 Stunden schrieb TheRealNeo:

Denke nicht, dass er so immer an seinen Job/seine Leidenschaft rangeht.

DafĂŒr hat er auch schon sehr gelungene, gerade auf der thematischen Ebene, Scores geschrieben.

Ich gehe gerne auf deinen Punkt ein. 
Es sagt ja niemand, dass Komponisten wie bspw. Lorne Balfe nicht in der Lage sind thematisch zu komponieren oder auch mal einen anspruchsvolleren Ansatz zu wÀhlen. 
Aber leider findet dies sehr selten wirklich noch Anwendung. Selbst wenn Lorne Balfe & Co. dies wirklich können (und davon gehe ich aus), ist es aus genannten GrĂŒnden heutzutage kaum noch gefragt. Und dies ist bedauerlich. 
Wenn man es mit dem „Wandel der Zeit“ abtut, dann muss ich einfach sagen, dass der Wandel fĂŒr die musikalische QualitĂ€t negativ ist. 

Ich gebe mal ein Beispiel, das mir spontan einfÀllt: 

Vorhin lief bei mir Star Trek II von James Horner (man könnte aber ebenso Star Wars von John Williams als Beispiel nehmen). FrĂŒher wurden Scores mit einer solchen QualitĂ€t, thematischer StĂ€rke und anspruchsvollen Herangehensweise recht hĂ€ufig produziert. 
Heutzutage hat man dies fast gar nicht mehr. 
Dabei geht es m.E. nicht um GeschmĂ€cker o.Ä. - sondern einfach um ein nĂŒchternes und objektives Begreifen des musikalischen Verfalls. 
 

 

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