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veröffentlichung Intrada: EDGE OF SANITY (Frederic Talgorn)
Mephisto antwortete auf Osthunters Thema in Scores & Veröffentlichungen
Talgorn hat mich noch nie enttäuscht, schade, dass der keine größere Diskographie hat. Er gehört halt zu den guten Handwerkern, die auch billige oder qualitativ fragwürdige Filme mit hervorragender Musik ausgestattet haben - ich denke da besonders an Robert Folk. -
EIN TOLLPATSCH AUF ABWEGEN - ON AURAT TOUT VU! Ich bin weder ein großer Fan von Pierre Richard noch ein Kenner seines Œuvres. Bisher kannte ich ihn hauptsächlich aus entsetzlich quirligen Komödien, in denen seine Figur mir schnell auf den Keks geht (vor allem in DER ZERSTREUTE und DER REGENSCHIRMMÖRDER). EIN TOLLPATSCH AUF ABWEGEN ließ mich ähnliches vermuten: Der Werbefotograf François hat mit einem Kumpel ein Drehbuch geschrieben, das nur von einem Pornoproduzenten akzeptiert wird. Um den "Erfolg" des Films zu garantieren, lässt dieser das philosophisch-politische Drama zu einem Porno umschreiben, worüber Pierre natürlich wenig begeistert ist. Versuche, die pikante Umarbeitung zunächst vor seinem Kumpel geheim zu halten sowie das Entsetzen seiner Frau, die versucht, ihm von dem Vorhaben abzubringen, führen zu zahlreichen Verwicklungen. ON AURAT TOUT VU! von PROFESSIONNEL-Regisseur Georges Lautner und ADIEU-POULET-Autor Francis Veber ist überraschend gelungen. Der Film gewinnt vor allem durch die Dynamik zwischen François und seiner Frau Christine, gespielt von Sylvette Marie Jeanne Herry, die Pierre versucht, von dem Projekt abzubringen, indem sie selbst die Hauptrolle spielen will. Die Szene zum Beispiel, in der sie beim Vorsprechen nackt und unter Tränen aus Molière vorlesen muss, ist überaus stark und beklemmend. Sogar der stereotypische Pornodarsteller Aldo bekommt in einer unerotischen Bettszene einen nachdenklichen, fast schon rührenden Moment, wenn er erzählt, wie er nach einem "langen, anstrengenden Arbeitstag" sich nach einer prüden Frau sehnt, die ihm lediglich einen Gutenachtkuss auf die Stirn gibt. Auch Richard nehme ich die Zerrissenheit seines François ab. Darüber hinaus hat der Film auch einige absurd-komische Momente, aber für mich hatten die ernsten Momente viel mehr Gewicht. Der überraschende, fast schon poetische Schluss hat mir den Film dann noch ein gutes Stück nähergebracht. Der Film ist überaus zurückhaltend vertont. Statt Vladimir Cosma, der viele Richard-Komödien vertonte, durfte hier Philippe Sarde "ran", der uns mit der schmetternden, an die 20th-Century-Fox-Fanfare angelehnten Titelmusik ordentlich in die Irre lockt. Es geht hier weder um das große Hollywoodkino, noch erleben wir im weiteren Verlauf des Films eine ähnliche kraftvolle Orchesterattacke. Es gibt einige jazzige Source-Stücke, aber kaum noch "externe" Musik. Sarde konzentriert sich interessanterweise ausschließlich auf die Szenen zwischen François und Christine, für die er ein wiegendes, melancholisches Stück komponierte, das im Film zweimal im Nachbeben eines großen Konflikts und schließlich für das "traumhafte" Schlussbild eingesetzt wird. Es würde mich nicht wundern, wenn Sarde dieses Stück auch in spätere Vertonungen "gerettet" hätte, aber das müsste Stefan hier einordnen. Musik aus ON AURAT TOUT VU! wurde natürlich auf dem Lautner-Sarde-Sampler von Universal France vor rund 13 Jahren veröffentlicht, womit eigentlich alles abgedeckt sein dürfte.
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Schocktober / Hooptober ... aber filmmusikalisch ... Interesse?
Mephisto antwortete auf TheRealNeos Thema in Filmmusik Diskussion
Naja, hier einzelne "Hörprojekte" vorzustellen hat doch eine ziemlich lange Tradition. -
Die Spielzeitpause ist vorüber, das Zeughauskino hat sein Programm wieder aufgenommen, daher komme ich wieder weniger dzau, zuhause Filme zu schauen. Aber trotzdem bleibt Sarde der rote Faden in meiner Heimkinounterhaltung. BAROCCO von André Teciné ist ein feiner Thriller, der für mich einen besonderen Reiz des Mediums Films sehr schön hervorkehrt: Die Überzeichnung, die extreme Stilisierung und die Freude am Extremen, hinter der eine "logische" Handlung durchaus zurückbleiben darf. Interessanterweise sah ich hier erneut einen französischen Film aus der Mitte der 70er-Jahre, in dem sich die Handlung vor dem Hintergrund eines politischen Wahlkampfes abspielt (wie in ADIEU POULET). Die junge Sexarbeiterin Laure wird Zeuge eines kaltblütigen Mordes an ihrem Freund, dem Boxer Samson - kurz bevor das junge Paar sich mit einem ordentlichen Batzen Geld, den ihnen eine der im Wahlkampf befindlichen Parteien als Schweigegeld aushändigte, absetzen kann. Dabei sieht der Mörder dem Opfer zum Verwechseln ähnlich. Auf der Suche nach dem Geld stellt er Laure nach und schließlich kommt es zu einer Annäherung zwischen den beiden. Der Film stellt wahnsinnig viele Handlungselemente, die irritieren mögen, wie selbstverständlich hin, weshalb man die eigenen Beobachtungen beim Schauen immer wieder hinterfragt. Warum fiel Laure die Ähnlichkeit des Unbekannten mit ihrem Freund nicht auf, während dieser im selben Café wie sie auf Samson wartete, um ihn zu erschießen? Warum verwechselte sie ihn nicht gar mit Samson? Ist es eine Ähnlichkeit, die sie sich nur einbildet und die dem Publikum durch die Doppelbesetzung von Gerard Departieu nur vorgegaukelt wird? Die amouröse Annäherung zwischen Laure und dem Mörder wird vom Film vorausgesetzt, sie ist vollkommen irrational und es wird gar nicht der Versuch unternommen, die gefährliche Wechselwirkung irgendwie zu erklären. In melodramatisch übertriebenen Spiel keifen, schreien und ächzen sich die Protagonisten an, mit wedelnden Armen rudert der ins Gesicht geschossene Samson auf dem Bahnsteig dem Gleis zu...die Bilder, Gesten und das Spiel ist stark, irgendwie "laut". Beharrlich erkundet die Kamera große Räume oder fährt neben den Figuren her, die oft längere Strecken durch belebte Orte (Bahnhof, Straße) zu Fuß zurücklegen und entwickelt einen visuellen Fluss, der prägend für den Gesamteindruck des Films ist. Ich hatte wirklich Freude, mich auf diesen Film einzulassen. Philippe Sardes Musik trägt viel zu der Atmosphäre dieses Thrillers bei. Den Kern seiner Komposition bildet eine nervöse, von Blechakkorden durchstochene Streicherfigur und ein in sich kreisendes Sehnsuchtsmotiv, das sich fast manieristisch festkrallt, zum treibenden Motor von Verfolgungsszenen wird oder sich ebenso melodramatisch steigert wie die Szenen, die es begleitet. Ich gebe zu, dass es auch hier eine oder zwei Szenen gab, bei denen ich mir Musik gewünscht hätte, in denen Sarde aber stumm blieb (vor allem während sich Laure durch den menschlichen Gegenstrom in der Bahnhofstraße kämpft). Im Film klingt die Musik wahnsinnig matschig, die Quartet-CD, die die vollständige Musik enthält, klingt - den hörproben nach zu urteilen - weitaus klarer.
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Schocktober / Hooptober ... aber filmmusikalisch ... Interesse?
Mephisto antwortete auf TheRealNeos Thema in Filmmusik Diskussion
Ich bin großer Fan solcher "Projekte", aber 31 Filme schaffe ich niemals in einem Monat. Man sieht ja schon, wie das "Sarde"-Projekt massiv stockt. -
Schön, dass Yared von MBR so viel Aufmerksamkeit bekommt. Den Film habe ich in den 00ern mal auf Sat 1 gesehen und war wirklich gepackt. Für das BACK-TO-COLD -MOUNTAIN-2-CD-Set war ich damals echt dankbar, weil es ja offiziell kaum etwas von Yareds Musik gab. Auch hier dürften die 2 CDs wieder Overkill sein, aber auch hier gibt's ja wieder eine kuratierte Sektion wie auf BACK TO COLD MOUNTAIN, wo Yareds Oscar-Promo-Zusammenstellung mit enthalten war.
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Ich höre gerade folgendes Album...(Teil 2)
Mephisto antwortete auf Marcus Stöhrs Thema in Filmmusik Diskussion
Es ist schon beeindruckend, was damals alles produziert wurde, zumal Varèse ja ebenfalls viele Neuaufnahmen, gerade von Herrmann, vorgelegt hat. Natürlich schwanken die Aufnahmen in der Qualität, aber gerade in jungen Jahren hat es mir viel gegeben, die farbenreichen Instrumentierungen dieser Musiken in klaren Neuaufnahmen zu hören, teilweise ja komplett oder fast komplett. Schade, dass es heute so etwas kaum mehr gibt. Die TRIBUTE-FILM-CLASSICS-Reihe hat ja noch große Hoffnungen geweckt und TADLOW hat noch wichtige Lücken geschlossen, aber da hat sich die Lage ja leider sehr verändert. -
Ja, der Film entspricht spürbar dem Zeitgeist und schien mir auch durch diverse amerikanische Vorbilder inspiriert, was die Charakterzeichnung des Komissars anging. Nichts desto trotz habe ich mich sehr unterhalten gefühlt. Die nervösen Rhythmen des Drumsets und die wilden, teils sehr dissonanten Einwürfe des Vibraphons und des Klaviers fand ich für das urbane Setting und die Grundstimmung sehr angemessen. Ich lerne die ganzen Sarde-Musiken gerade ausschließlich im Film kennen und mirist bewusst, dass gerade in den jüngeren Produktionen sehr viel Musik keine Verwendung fand. Daher sind meine Eindrücke zur Musik hier auch nicht allzu detailliert, weil mir nicht jede musikalische Querverbindung auffällt (siehe DER UHRMACHER VON ST. PAUL).
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Einstieg in die klassische Musik
Mephisto antwortete auf TheRealNeos Thema in Klassische Musik & Orchester
Uff... ich denke, da macht vor allem der Sprecher viel aus, vor allem für Nicht-Klassikhörer. -
Nach LANCELOT DU LAC und TOUCHE PAS À LA FEMME BLANCHE folgte heute wieder ein "normaler" (=kommerzieller) Film: ADIEU POULET. Lino Ventura prügelt sich hier als mürrischer Komissar durch ein Netz aus Korruption, indem reiche Unternehmer, die für politische Ämter kandidieren, genau so verstrickt sind wie Puffmütter und Polizisten. Nach LE CHAT und LE TRAIN liefert Pierre Granier-Deferre hier einen gradlinigen Actionkrimi, der die antiautoritäre Haltung als Rechtfertigung für die reißerische Handlung nimmt. Ich kann nicht einschätzen, ob das Publikum in den 70er-Jahren Komissar Verjeat ähnlich wie Eastwoods Dirty Harry oder später Willis' McClane mit wohltuender Genügsamkeit dabei beobachtete, wie er die Sache selbst "in die Hand nahm", sich über die blöden Vorgesetzten und bornierten Richter hinwegsetzt, um notfalls mit der Anwendung von Gewalt seinen Zielen näher zu kommen. Der rasant inszenierte Film macht durchaus Spaß, kommt mir aber extrem chauvinistisch rüber. Die auf Wikipedia zitierten Kritiken bezeichnen den Film oftmals als "perfekten" Actionfilm, mit kommt das Ganze stellenweise ziemlich hingerotzt vor, von Perfektion ist vor allem in der Kameraarbeit wenig zu spüren, vor allem in den hektisch verwackelten Zooms oder den teils zu nahen Einstellungen. Da gibt es wesentlich faszinierende Beispiele der "entfesselten" Kamera. Auch wird in den Dialogszenen fast immer zwischen uninspirierten Nahaufnahmen der jeweils sprechenden Person hin und hergeschnitten, eine sinnvolle Anordnung der Figuren im Set oder eine wirkliche Interaktion kann zwischen den Darstellern somit nicht stattfinden. Philippe Sardes Musik ist jaziig angehaucht und fängt vor allem mit den dissonanten Harmonien des Klaviers die schmutzig-urbane Atmosphäre des Films treffend ein. Wie immer ist der Film ziemlich sparsam vertont, aber zum ersten Mal bei einem von Sarde vertonten Film hätte ich mir mehr Musik gewünscht: Einmal bei der Ankunft der Einsatztruppen bei der Geiselnahme und dann bei der Verfolgungsjagd überden Baukran, die im Gegensatz zu den anderen Actionszenen ziemlich dröge und spannungsarm inszeniert ist. Die vollständige Musik gibt es aufeiner CD von Music Box Records zu hören, die aber mittlerweile schon wieder vergriffen ist.
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Das ist eben der Vorteil, wenn man in der Hauptstadt lebt. Der Verbund öffentlicher Bibliotheken Berlin besteht aus über 80 "Filialen", die insgesamt über eine phänomenale Filmsammlung verfügen. Da ist es überhaupt kein Problem, auch ausländische DVDs und Blu-Rays zu bekommen. Ich habe vor ein paar Monaten einfach mal Sardes Filmographie im Katalog abgeklappert und über 50 Treffer bekommen, die ich hier nach und nach "abarbeiten" werde. Es gibt natürlich ein paar Lücken, aber wie gesagt, habe ich hier schon einige interessante Entdeckungen gemacht. Von Bresson habe ich hier neben PICKPOCKET auf Blu-Ray auch DAS GELD als DVD gefunden. Mit "Stilisierung" meinte ich, dass ja eine bestimmte Strenge in der Gestaltung ausgereizt wird, auch ein karger Stil kann ja stringent umgesetzt werden. Aber ohne arrogant wirken zu wollen denke ich halt, dass sich mir das Konzept von LANCELOT DU LAC bald erschlossen hat und mich dann schnell anödete. Mag aber auch der Tagesform geschuldet gewesen sein. Früher oder später werde ich mich nochmal näher mit Bresson beschäftigen, dass es LANCELOT wurde, ist ja alleine Sardes Schuld TOUCHE PAS À LA FEMME BLANCHE hat mir wesentlich besser gefallen als DAS GROSSE FRESSEN. Hier fand ich hat alles gepasst, während die Völlerei im GROSSEN FRESSEN ein ziemlich ödes Erlebnis war. LA DERNIÈRE FEMME und LIZA konnte ich noch nicht auftreiben, damit bleibt erstmal nur AFFENTRAUM.
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Ich kann mir vorstellen, dass DAS GROSSE FRESSEN vor rund 50 Jahren ganz anders gewirkt hat als heute. Was LANCELOT angeht, habe ich mein Interesse an Bresson nicht verloren, aber mir gehen solche überstilisierten Filme gerade eher auf den Keks. Hätte ich den mit 16 mal auf ARTE oder so erwischt, dann hätte mich LANCELOT DU LAC ganz woanders abgeholt und mich hätte diese Strenge, das reduzierte Spiel, die Bildausschnitte und die Dialoge weitaus mehr gereizt als heute, wo meine Sehgewohnheiten auch einfach "ausgeleiert" sind. Sowas hängt vielleicht auch von der Tagesstimmung ab und ich hatte zugegebenermaßen Probleme, mich auf diese Inszenierung, die sich mir - so glaube ich zumindest - erschlossen hat, auch konsequent einzulassen. Natürlich sind die klappernden Rüstungen ein parodistisches Element, aber nach den eröffnenden Kampfszenen hat es für mich massiv an Wirkung verloren und im weiteren Verlauf des Films fand ich es nur noch albern und bemüht. Das Turnier fand ich auch einigermaßen packend, vor allem in der ewigen Wiederholung ein und derselben Bildmotive, die für mich die Sinnlosigkeit und die Leere des vielgepriesenen Rittertums sehr gut rüberbrachte. Aber es ist auf alle Fälle interessant, was für Filme man durch Sarde entdeckt. Heute gab es dann TOUCHE PASÁ LA FEMME BLANCHE. Ich gebe zu, dass ich wahrscheinlich selten einen so kaputten Film gesehen habe. Ferreri, der diesen Film kurz nach Fertigstellung von DAS GROSSE FRESSEN drehte, wollte hier anscheinend einen Film über amerikanischen Imperialismus und den Vietnamkrieg drehen, verpackte das ganze aber in ein historisch inspiriertes und insgesamt überaus groteskes Erlebnis. In einer Baugrube der im Abriss befindlichen Pariser Markthallen inszenierte Ferreri einen "Western" mit General Custer im Mittelpunkt. Custer agiert als rechte Hand von imperialistischen und kapitalistischen Industriemännern, die Einfluss auf die Politik nehmen, sich aber stets davon distanzieren, selber Politiker zu sein. Im Namen des Fortschritts lassen sie andere die Drecksarbeit machen. Durch die mangelhafte Kulisse und das völlig überzogene Spiel der Beteiligten (u. A. Michel Piccoli als Buffalo Bill) wirkt der Film absurd und komisch, vermag aber trotzdem seine Botschaft wirkungsvoll zu transportieren. Wenn zum Beispiel die Industrievertreter zu Beginn ganz rational über die "notwendige" Vernichtung von Menschengruppen räsonieren, dann bilden diese Dialoge die Blaupause nicht nur für die rassistisch grundierten Indianerkriege, sondern auch für Denkweise der faschistischen Regime des 20. Jahrhunderts. Die Hinrichtung der zum Tode verurteilten und die Verbrennung von Indigenen in einem Industrieofen bilden erschütternde Brüche in dem übertriebenen und teils amateurhaften Inszenierungsstil. Besonders beeindruckend sind die halsbrecherischen Stunts im blutigen Schlusskampf, für dessen Kameraarbeit sich das Team vielleicht einige Tricks des New Hollywood abgeguckt hat. Hier läuft der Film in Bezug auf die temporeiche Inszenierung zahlreichen "ernsthaften" weitaus sinnlos-blutrünstigeren Euro-Western den Rang ab. Die beständige ästhetische Diskrepanz, wenn Männer in Unionssoldatenuniformen und Westernklamotten durch die Pariser Innenstadt reiten oder sich in einer Baugrube beschießen, verliert überraschenderweise über die gesamte Laufzeit nicht an Reiz. In der Mitte zieht sich der Film etwas durch die episodische Aneinanderreihung der einzelnen Szenen, die in sich schön geschrieben und gespielt sind, aber nicht konsequent ineinandergreifen und zum Ende führen. Wie man heute damit umgehen sollte, dass durchweg Europäer indigene darstellen und das auch noch in extrem dilettantischen Kostümen mit schlechten Perücken, ist fraglich. Das Ganze wirkt hier so bewusst überzeichnet und als Seitenhieb gegen die lange Tradition unsensibler, teils unfreiwillig lächerlicher, teils bewusst rassistischer Darstellungen von Indigenen im US- und europäischen Western, dass man hier nicht ernsthaft von "kultureller Aneignung" sprechen kann. Es ist recht viel Musik im Film, vor allem Militärmärsche, Songs und Folkklängen. Philippe Sardes "Originalmusik" beschränkt sich wahrscheinlich auf die Eröffnungscollage für den Vorspann, in dem Militärsignale und bekannte traditionelle Melodien in dissonanten und grell orchestrierten Schichten übereinandergelegt werden, sowie auf einige Passagen am Ende, in denen am Ende das pentatonische "Indianermotiv" im ganzen Orchester erklingt und die Fanfaren und Marschanklänge unter sich begräbt.
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Stimmt, es ist eine Rumba! Ich finde, Du hast nichts verpasst, wenn Du DAS GROSSE FRESSEN bisher nicht geschaut hast. Weißt Du denn noch, wie der damals aufgenommen wurde? Es sind ja immerhin renommierte Darsteller, die sich dafür hergegeben haben. Schön, dass Du auch hier noch das passende Sarde-Zitat aus dem Hut zaubern konntest. Es wäre super, wenn Du noch die Quelle angeben könntest, falls man die kompletten Interviews/Quellentexte mal lesen wollte Heute habe ich meinen ersten Film von Robert Bresson gesehen: LANCELOT DU LAC. Ich muss zugeben, dass es sich hierbei um ein ziemlich freudloses Filmerlebnis handelte. Bresson bemüht sich um Reduktion in allen Bereichen: Im darstellenden Spiel, in den Dialogen, den gewählten Bildausschnitten - und natürlich der Musik. Während der Dialoge bleibt die Kamera oft auf nur einer Figur haften, während der Gesprächspartner aus dem Off zu hören ist, wobei uns in den knapp gefassten Sätzen oftmals die Weisheit mit Löffeln eingefößt werden soll: "Das Recht ist nicht die Gerechtigkeit." "Selbstbeherrschung wird oft mit Feigheit verwechselt." Das fast ausdruckslose Spiel der Laiendarsteller und die gewählten Bildausschnitte, die sich häufig auf Füße, Pferdehufen (für Bresson angeblich das Symbol für Kraft und Gewalt) und Hände fokussieren, verlieren schnell an Reiz und lassen den gerade einmal 84 Minuten langen Film zäh wie Kaugummi erscheinen. Bei den Kampfszenen zu Beginn und am Ende entfaltet Bressons Inszenierung eine gewisse Kraft, das Blut fließt in Strömen aus den ewig klappernden Rüstungen, wie weggeworfene zerquetschte Konservendosen stapeln sich die tapferen Ritter übereinander. Bresson verzichtet nahezu vollständig auf Musik und schrieb einmal, wie @Max Liebermannes schon einmal zitierte, in den "Noten zum Kinematographen" schreibt Bresson übrigens: "Keine Musik zur Begleitung, zur Unterstützung oder zur Verstärkung. Überhaupt keine Musik! Außer, wohlverstanden, die Musik, die gespielt wird von sichtbaren Instrumenten." Ich muss ehrlich sagen, dass ich diese Haltung nicht nachvollziehen kann. Film ist immer Manipulation. Wie man glauben kann, dass der Verzicht auf Musik einen Film "realistischer", "distanzierter" oder sonstwas machen kann, hat sich mir nie erschlossen - vor allem, wenn man so überstilisiert wie Bresson. Man schaltet damit neben Bildgestaltung, Darstellung, Dialogen, Choreographie etc- einfach eine weitere Schicht zur Verwirklichung der Vision aus, gewinnt aber nicht zwangsweise etwas damit. Immerhin hat Sarde für den Prolog ein anderthalb Minuten langes Stück schreiben dürfen, das auch während des Vorspanns und kurz am Ende als Marsch erklingt. Mit der Instrumentierung für Rührtrommeln, große Trommeln, Dudelsäcke und Pfeifen wirkt es recht "authentisch", aber vor allem ist Sarde ein famoser Trommelrhythmus eingefallen, der ordentlich Schmackes hat und der kurzen Passage eine enorme Kraft verleiht. Dafür hat sich der Film dann doch ein bisschen gelohnt.
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Was ich noch zum UHRMACHER VON ST. PAUL schreiben wollte: Es ist auffällig, wie häufig hier Film erwähnt und gleich zu Beginn indirekt gegen das Fernsehen ausgespielt wird, wenn der Protagonist witzelt, dass die Vollstreckung der Todesstrafe zusammen mit der Hitparade im Fernsehen übertragen werden solle, weil das Fernsehpublikum ja nur sensationsgeil sei und unterhalten werden wolle. Der Sohn hat anscheinend dezidiert Notizen über Filme sowie Diskussionen über Filme aufgezeichnet und der Assistent fragt den Inspektor, ob er DAS GROSSE FRESSEN kenne. ...den habe ich übrigens heute Abend gesehen und ich muss gestehen, wirklich beeindruckt hat mich Ferreris Fress- und Sexorgie nicht. Auch hier fehlt mir natürlich die mittlerweile 50 Jahre zurückliegende zeitgenössische Sehgewohnheit. Es mag sein, dass die lauten Pupsgeräusche während Sexsszenen und die frivole Zurschaustellung weiblicher Körper in Kombination mit dekadenter Völlerei damals die Leute schockiert haben mag, heute wirkt das ganze zeitweise gar pubertär, insgesamt wahnsinnig flach und langweilig.Bei der "Toilettenexplosion" hatte ich kurz das Gefühl, eben jene Eskalation zu sehen, die der Film die ganze Zeit anstrebt, aber kaum erreicht. Schön sind diverse Störmomente, zum Beispiel wenn die sich eine Sexarbeiterin im Hintergrund plötzlich übergibt oder Philippe plötzlich der Teller wegrutscht, während Michel Klavier spielt. Aber insgesamt hat mich der Film weder packen, noch schockieren, noch aufrütteln, noch irgendwie erreichen können. Immerhin habe ich jetzt mal diese Bildungslücke geschlossen. Der Film verfügt über keine externe Musik, Philippe Sarde hat auf alle Fälle eine melancholische Swingnummer geschrieben, die als Grammophonplatte erklingt und von mehreren Figuren gesummst und auf dem Klavier gespielt wird. Wie so oft bei Sarde verfügt auch diesekurze Komposition über eine einprägsame Melodie.
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Super, vielen Dank für die Infos! Ich bin halt bei solchen Sachen wie den Universal-Samplern gerade am Überlegen, weil ja momentan doch einiges an expandiertem Sarde rauskommt. Daher schiebe ich die auf die lange Bank.
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Vielen Dank für die Erläuterung! Also führen die beiden Stücke von der CAM-Scheibe die kurzen Passagen zusammen oder fehlt da noch etwas? Das mit dem Glockenspiel ist eine schöne Anmerkung, das habe ich so beim Filmschauen nicht rausgehört und die Universal-CD habe ich nicht. Nur weil die Musik zur Ankunft der beiden Typen, die die Scheibe einwerfen, so aus dem Rahmen fiel und ich auch das Adagio-Thema für den Schluss ästhetisch nicht mit der Vorspannmusik zusammengebracht habe, habe ich mich gefragt, ob es sich um Originalmusik handelt. Daher nochmal vielen Dank für die Asuführung!
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D'ARTAGNANS TOCHTER, den ich vor Jahren mal gesehen habe(meine erste Sarde-CD dank einer Empfehlung von @sami hier), und DIE PASSION DER BEATRICE sind bezeichnenderweise auch nicht in der Box. Ich habe gestern mal mit DER UHRMACHER VON ST. PAUL weitergemacht. Ein schöner ruhiger und kleiner Film über - Überraschung! - einen (alleinerziehenden) Uhrmacher, der im Stadtteil St. Paul von Lyon ein friedliches Dasein verbringt. Eines Tages taucht die Kriminalpolizei bei ihm auf und offenbart ihm, dass sein Sohn mit dessen Freundin den Leiter des Werkschutzes der Fabrik, in der sie gearbeitet hat, umgebracht haben soll. Der Film fokussiert sich auf die verzweifelte Suche des Uhrmachers Decombes nach dem Motiv des Sohnes und die allmählich reifende Erkenntnis, dass sich die beiden offenbar doch nicht so nahe standen, wie er immer dachte. So hat er noch nie die Freundin seines Sohne getroffen, mit der dieser aber dem ehemaligen Kindermädchen schon zwei Besuche abgestattet hatte. Um der Wahrheit näher zu kommen, unterstützt er Inspektor Guilbout bei dessen Untersuchung. Guilbout stellt mit seiner ruhigen und sympathischen Art das Gegenteil des fiesen Komissars in DEUX HOMMES ANDS LA VILLE dar. Insgesamt will sich der Film einen politischen Anstrich geben, indem oftmals über die bevorstehenden Wahlen, die Vereinnahmung des Verbrechens von politischer Seite, Protesten von Sexarbeiterinnen, inkompetente Polizisten, Arbeiterstreiks etc. geredet und diskutiert wird, aber über Plattitüden kommt das Ganze meiner Meinung nach nicht heraus. Es war wahrscheinlich auch ein anderes Erlebnis, diesen Film 1974 in Frankreich zu sehen als 2024 in Deutschland. Darüber hinaus muss man als Zuschauer viel Bereitschaft mitbringen, die Verzweiflung und Hilflosigkeit des Vaters durch eigene Anteilnahme nachzuvollziehen, denn das zurückhaltende Spiel von Philippe Noiret und die unaufgeregte Regie bringen einem die Situation des Vaters nicht unmittelbar nahe. Die Musik von Philippe Sarde besteht aus sieben kurzen Stücken, die für mich im Film über kein verbindendes Element verfügen. Die Vorspannmusik lehnt sich mit dezentem Schlagzeugrhythmus und Saxophonklängen tatsächlich an die zeitgenössische Popmusik an, die spitzen Streicherifugren bei der Ankunft von zwei bezahlten Schlägertypen erinnert ein bisschen an die Gefängnisaufstandmusik aus DEUX HOMMES DANS LA VILLE und auch die anderen kurzen Passagen wirken wie für sich alleinstehende Miniaturen. Vielleicht weiß Stefan ja, ob es sich hier um wiederverwendete Stücke handelt und ob diese auf der kurzen CAM-Scheibe in Gänze zu hören sind. Auf CD sind nur zwei Auszüge dieser ersten Veröffentlichung auf einem Tavernier/Sarde-Sampler Universal France greifbar.
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Vielen Dank für Eure Kommentare! Tatsächlich habe ich mir auch die Bertrand-Tavernier-Edition mit 11 Blu-Rays ausgeliehen, da ist DER RICHTER UND DER MÖRDER auch dabei. Von QUAI D'ORSAI war ich ja nicht so begeistert, aber das liegt - glaube ich - auch eher am Stoff.
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Neue Club-CD´s am 17. November
Mephisto antwortete auf peter-anselms Thema in Scores & Veröffentlichungen
CEMETARY CLUB und THE FIELD habe ich tatsächlich aus der Zeit (wahrscheinlich damalsbeimgroßen Colosseum-Ausverkauf mitgenommen), bin aber noch nicht dazu gekommen, den zu hören- ebenso FAR FROM HEAVEN. -
Wo habe ich denn geschrieben, dass ich spätromantische Symphonik bei Sarde erwarte, wobei ich auch nicht zustimmen würde, dass bis in die 60er hinein musikalisch immer nur die Filmhandlung gedoppelt wurde, aber ich denke, ich verstehe was Du meinst. "Wall to wall" war ja auch im Golden Age eher die Ausnahme, VOM WINDE VERWEHT ist ja auch "nur" zu ca. 65% mit Musik unterlegt. Ich meinte nur, dass bisher bei Sarde die Themen oft sehr melodiös, chansonesk - wenn man so will - sind. Die Stücke sind häufig kurz und formal in sich sehr geschlossen - eben mehr wie ein Lied mit Einleitung-Strophe-Refrain-Strophe-Refrain und eben nicht so frei fließend wie viele Stücke aus der Golden-Age-Sinfonik. Natürlich fehlt da der durchgehende (dezente) Schlagzeugrhythmus und der E-Bass, um das Ganze wirklich "poppig" klingen zu lassen, aber sollte ich demnächst mal die begleitenden Cembalo-Figuren, E-Bass und Drumset bei so einem Sarde-Thema hören (wie in Morricones MADDALENA oder Goldsmith's LAST RUN, dann würde mich das nicht überraschen oder käme es mir auch nicht "unpassend" vor. Das meinte ich nur, wwaum ich bei Sardes Musik bisher (!) oftmals (!) von der Struktur und von einem abstrakten Blickwinkel aus mehr Überschneidungen mit den Poptrends der damaligen Zeit sehe als mit der traditionellen "herkömmlichen" Filmvertonung. War auch nicht wertend, sondern beschreibend gemeint.
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Heute mal wieder mit Sarde weitergemacht: DEUX HOMMES DANS LA VILLE. Den Film hatte ich eigentlich schon für Sonntag angesetzt - noch Tage bevor ich die Nachricht vom Tod Alain Delons erhalten habe. Mich hat der Film über einen entlassenen Ex-Sträfling, der in einer anderen Stadt neu anfangen will, sehr gefesselt. Nach einem ersten schweren Schicksalsschlag schafft es Bankräuber Gino, sich ein neues Leben aufzubauen, aber schon bald treiben ihn seine ehemaligen Komplizen, die wieder Kontakt zu ihm suchen, und der ehrgeizige Komissar, der Gino einst hinter Gitter brachte, ihn die Enge. Der Film ist ein ergreifendes Plädoyer gegen die Todesstrafe. Sarde sah seine Aufgabe darin, beim Publikum Sympathie für den ehemaligen Verbrecher zu wecken, und vermeidet daher weitgehest, Spannung oder Action in irgendeiner Form zu unterstreichen, sondern zielt mit seiner elegischen Musik, in der vor allem die Streicher prominent eingesetzt sind, auf das Gefühlsleben der Figuren ab. Was mir bislang auffällt, ist, dass Sardes starke Musiken oft formal sehr geschlossen sind (Sami kritisierte das ja mal als "formstreng") und häufig sehr lyrische und cantabile (=gesangliche) Themen aufweisen. Dadurch haben seine Stücke für mich häufig den Anklang von sehr delikaten, instrumentalen Balladen. Sie erinnern mich viel mehr an elaborierte Popmusik aus dieser Zeit denn an die spätromantische Schule, aus der ja die europäische und amerikanische Filmmusik maßgeblich bis in die 50er- und 60er-Jahre schöpfte.
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Neue Club-CD´s am 17. November
Mephisto antwortete auf peter-anselms Thema in Scores & Veröffentlichungen
Stimmt, wie konnte ich AGE OF INNOCENCE nur ausblenden? Es gab in den 90ern ja tatsächlich mehrere "kleine" Dramen in Bernsteins Filmographie. Ich gebe auch frei zu, dass ich bei weitem nicht alles von ihm bisher gehört habe und gerade das Spätwerk bei mir noch ziemlich unterbelichtet ist. RAMBLING ROSE, THE GOOD SON, HOODLUM oder DEEP END OF THE OCEAN kenne ich zum Beispiel weder aus den Filmen, noch habe die ich die CDs hier stehen. -
Intrada: Horners SOMETHING WICKED THIS WAY COMES & Fox' FOUL PLAY
Mephisto antwortete auf Kusanagis Thema in Scores & Veröffentlichungen
Oha! Damit habe ich absolut nicht gerechnet. Schöne Komplett-Edition auf alle Fälle, aus der man sich sein eigenes Album basteln kann, wenn man will. -
Neue Club-CD´s am 17. November
Mephisto antwortete auf peter-anselms Thema in Scores & Veröffentlichungen
Vielen Dank, @Trekfan, da sind noch einige schöne Empfehlungen bei, die ich bisher nicht auf dem Schirm hatte. Tatsächlich ist die Bernstein-Musik überraschend uninteressant, zumal sie manchmal sogar ein Stück unpassend wirkt, indem sie manchmal nicht auf das Tempo oder die Stimmung einer Szene eingeht, sondern 70er-Stangenware-Funk-Rhythmen gespielt und geslappt werden, ohne dass es wirklich groovig wirkt. Der Film selbst hat ja auch seine Schwächen, wie Du schön ausgeführt hast. Am Anfang war er mir tatsächlich etwas "fremd" und "distanziert". Ich finde, dass nicht nur Elmer Bernstein in der aktuellen Filmmusik-Diskussion "weg vom Fenster" ist, sondern ja auch viele seiner Kollegen - auch der nachfolgenden Generation. Wer spricht noch über Bill Conti, der damals im Varése-Club regelmäßig vertreten war - oder Bruce Broughton, der immerhin noch viele Premieren auf Intrada feiern konnte. Dazu hat sich die Filmmusik einfach zu stark geändert - ebenso das Sehverhalten, aber das hat @Stefan Schlegel ja schon an so mancher Stelle ausgeführt. Ich bin ja erst so richtig zur Filmmusik gekommen, als mit Raksin, Bernstein und Goldsmith drei Größen abgetreten waren, habe also gar nicht mehr die Zeit bewusst erlebt, in der die noch aktuelle Filme vertont haben. Aber wenn ich mir die Rezensionen aus den 90ern so durchlese, scheint es, dass die damaligen Filmmusikfans eher enttäuscht vom jeweiligen Spätwerk waren und Bernstein & Co. ja eher wegen ihrer Arbeiten von 1950-1990 geschätzt waren - oder irre ich mich?