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Sebastian Schwittay

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Alle Inhalte von Sebastian Schwittay

  1. Anlässlich der Premiere von John Williams' Klavierkonzert starte ich mal eine kleine Diskussions-Plattform zu Williams' Konzertmusikschaffen - insbesondere zu seinen Instrumentalkonzerten. Keine Gattung nimmt mehr Raum ein in Williams' E-Musik-Oeuvre (es dürfen aber natürlich auch gerne seine Fanfaren, seine Kammermusik und andere Stücke diskutiert werden!). Ich habe in den letzten Tagen ein kleines Ranking seiner Konzerte erstellt. Vielleicht wollt ihr euch mit euren Rankings/Lieblingskonzerten beteiligen? 1. Tuba Concerto (1985) Williams hat leider kein Konzert für mein liebstes Blechblasinstrument, die Bassposaune, geschrieben – aber immerhin eins für Tuba. Und die dialogisiert hier so herrlich mit den anderen Blechbläsern des Orchesters (zweite Hälfte 1. Satz!), dass mir jedes Mal aufs Neue das Herz aufgeht. 2. Cello Concerto (1994) Das JURASSIC PARK-Actionscoring in sinfonischer Form mit obligatem Violoncello-Part. Sehr filmmusikalisch, und trotzdem eins von Williams‘ packendsten und auch reifsten Konzerten. 3. Violin Concerto No. 2 (2021) À propos reif: das zweite Violinkonzert, geschrieben für Anne-Sophie Mutter, stößt in emotionale und klangsinnliche Tiefen vor, wie sie im ersten VK von 1974 trotz technischer Perfektion selten bis nie erreicht werden. Ein Alterswerk, wie man es sich wünscht. 4. Bassoon Concerto „The Five Sacred Trees“ (1993) Williams‘ erstes „Baumkonzert“, bei dem jeder der fünf Sätze einem Baum aus der Mythologie zugeordnet ist. Hochgradig abstrakt, zwischen spröder Introspektion und harschem Modernismus schwankend – ein ernsthafter Brocken in Williams’ Konzertschaffen, der die Beschäftigung lohnt! 5. Horn Concerto (2003) Das zentrale Williams-Konzert der 2000er Jahre. Der surrealistische Reigen des ersten Satzes, sowie der extrem modernistische zweite Satz (mit knapp 2 Minuten der kürzeste Konzertsatz in Williams‘ Konzertschaffen!) sind die Highlights dieses vielgestaltigen Werks, das Williams selbst als sinfonische Dichtung beschreibt. 6. Trumpet Concerto (1996) Wesensgerecht ist das Trompetenkonzert ein fanfarenhaft-wirbelndes Schaustück (allerdings von gewisser Schärfe), bei dem das Solo-Instrument – ähnlich wie im Tubakonzert – in aufregende Dialoge mit dem restlichen Bläser-Ensemble tritt, vor allem im Kopfsatz. Der langsame Mittelsatz ist ungewöhnlich herb, was mir ausgezeichnet gefällt. 7. „On Willows and Birches“ for Harp and Orchestra (2009) Mit seiner ungewöhnlichen zweisätzigen Anlage nach Art eines Diptychons bereichert das Harfenkonzert Williams‘ Konzertschaffen um eine hochspannende Facette. Ein Geheimnis-umwittertes, ungemein erfrischendes Konzert, und das dritte in der Serie der „Baumkonzerte“ (nach dem Bassoon Concerto und „TreeSong“ für Violine und Orchester). 8. „Highwood’s Ghost“ for Cello, Harp and Orchestra (2018) Auch wenn es noch so programmatisch-filmisch aufgezogen ist: das gespenstische Stück über einen Geist auf dem Tanglewood-Gelände lässt mich in vielen Passagen an „stille“ Avantgardisten wie Morton Feldman oder György Kurtág denken. Und in den fortissimo-Passagen fährt Williams nicht nur unfassbare Gefechte von Cello und Harfe, sondern auch einige der extremsten Klangballungen – à la Penderecki – seiner Karriere auf. 9. „Escapades“ for Alto Saxophone and Orchestra (2002) Ob dieses auf der Filmmusik zu „Catch Me If You Can“ basierende Werk als eigenständiges Instrumentalkonzert zu werten ist, ist umstritten. Ich werte es so, und es ist zweifellos Williams‘ zugänglichstes Konzert. Wer den Score mag, mag auch die „Escapades“ (der erste Satz entspricht ziemlich exakt der Titelmusik). 10. Oboe Concerto (2011) Eine luftige Leichtigkeit für Streichorchester und Oboe, bei der vor allem der letzte, dritte Satz in Erinnerung bleibt: die „Commedia“ ist ein flinkes, polyphon gearbeitetes Scherzo, das an Williams‘ TINTIN (ebenfalls 2011) und entfernt an die Scherzos der INDIANA JONES-Scores erinnert. 11. Violin Concerto No. 1 (1974) Biographisch das vielleicht wichtigste Konzert, zum Tod von Williams‘ erster Ehefrau Barbara Ruick geschrieben. Schmerzhaft-tumultös, technisch über alle Maßen beeindruckend, dazu ein extrem verinnerlichter Mittelsatz – ich vermisse trotzdem die Reife und Tiefe des zweiten VK. Man hat seit 2021 halt den Vergleich… 12. Prelude and Scherzo for Piano and Orchestra (2014) Eine Art Vorstudie für das Klavierkonzert (2025): genau wie dort nimmt die Pauke eine wichtige Rolle ein und unterstreicht die allgemeine Schärfe des Ausdrucks. Die freie Form fügt sich allerdings nicht optimal, und man merkt, dass das Präludium später dazukomponiert wurde. (Gehört hier: "Prelude and Scherzo for Piano and Orchestra" - John Williams - YouTube ) 13. „TreeSong“ for Violin and Orchestra (2000) Unter den drei „Baumkonzerten“ ist „TreeSong“ das subtilste Werk. Impressionistisch-zart, selten übers Mezzopiano hinausgehend. Der Schlussakkord mit den Klaviertupfern im höchsten Register ist herrlich! (Leider ist die Aufnahme mit Gil Shaham und den Bostoner Symphonikern viel zu leise gepegelt.) 14. „Markings“ for Violin, Harp and Strings (2017) Eine agitierte Miniatur, die durchaus Laune macht. Den reinen Streicher-/Saitenklang, ganz ohne Bläser und Percussion, hört man bei Williams eher selten. Leider nimmt der versöhnlich-konventionelle Ausklang dem Werk ziemlich den Wind aus den Segeln. 15. Clarinet Concerto (1991) Zur damaligen Uraufführung von der Kritik verrissen, nimmt das Klarinettenkonzert tatsächlich eher einen der hinteren Plätze im Kanon der Williams-Instrumentalkonzerte ein. Sehr filmmusikalisch, etwas flach – die Rhythmik des dritten Satzes erinnert dezent an die Williams-Scores der 70er. Ein okayes Gelegenheitswerk, das bisher noch nicht auf Tonträger veröffentlicht wurde. (Gehört hier: John Williams | Concerto for Clarinet and Orchestra (1991) | John Bruce Yeh, soloist ) 16. Flute Concerto (1969) Williams‘ erstes Konzert ist unter Fans berühmt-berüchtigt, und wird immer wieder als Beispiel für den „schrägen“, modernistischen Williams herangezogen. Ein kurzer, 13-minütiger Satz präsentiert eine Abfolge abstrakter Klangflächen und -ausbrüche, bleibt dabei aber weitgehend formlos. Habe das Stück immer als avantgardistische Fingerübung wahrgenommen, daran haben auch die letzten Hördurchgänge nichts geändert. 17. „Heartwood“ – Lyric Sketches for Cello and Orchestra (2002) Ein formal freier, 15-minütiger Satz (ähnlich wie „Highwood’s Ghost“), der atmosphärische, melancholische und einige bewegtere Abschnitte präsentiert. Viel bleibt nicht hängen, aber immer noch deutlich ausdrucksstärker als die… 18. „Elegy“ for Cello and Orchestra (1997/2002) Das wohl gefälligste und konventionellste Williams-Konzertwerk mit Solo-Instrument. Ein warmer, lyrischer Crowd-Pleaser, der gerne in Konzerten programmiert wird, aber kaum mit Williams‘ anderen Werken für den Konzertsaal mithalten kann. Basierend auf der „Elegy“ for Cello and Piano von 1997, die wiederum auf einem Thema aus SEVEN YEARS IN TIBET basiert. Vorerst außer Konkurrenz: Piano Concerto (2025) Uraufgeführt am 26. Juli 2025. Jeder der drei Sätze ist dem Spiel eines bekannten Jazz-Pianisten nachempfunden. Wunderschön: ein Dialog von Bratsche und Klavier zu Beginn des zweiten Satzes. Das hämmernde und pulsierende Finale (Presto) ist nah dran an den Klavierkonzerten Béla Bartóks. Ein starkes Werk, das sich – nach weiteren Hördurchgängen – wahrscheinlich irgendwo zwischen Platz 5 und 8 einordnen wird. (Eine Veröffentlichung auf Deutsche Grammophon wurde bereits angekündigt.) Unberücksichtigt bleibt das nur einmalig aufgeführte Viola Concerto (2009), da in keiner zufriedenstellenden Aufnahme verfügbar. Hier die Cover meiner bevorzugten Aufnahmen in Ranking-Reihenfolge:
  2. Ich zitiere mal meine Eindrücke von Facebook: "Wow, der Dialog von Bratsche und Klavier zu Beginn des zweiten Satzes ist wunderschön, ebenso der Übergang zum schimmernden Orchestersatz... Auch toll das in der Düsternis Suchende am Ende des ersten Satzes. Und das wahnwitzige Presto-Finale erinnert schon sehr an die Brillanz der Bartók-Klavierkonzerte. BÄM, BÄM, BÄM, BÄM! So einen Nachdruck hatte bisher keins seiner Konzert-Finales. Toll!" Satzfolge des Klavierkonzerts übrigens: I - Introduction – Colloquy II - "Listening" III - Finale. Presto (Gesamtdauer etwa 22 Minuten)
  3. Nein, leider immer noch nicht.
  4. Album erst diesen April digital veröffentlicht (und reguläre Kinostarts - u.a. in Italien - gab es auch erst 2025): THE SHROUDS, Howard Shore
  5. THE SHROUDS (David Cronenberg, CAN/F 2024) Cronenbergs Psychogramm eines Bestattungsunternehmers, der seine verstorbene Ehefrau über den Tod hinaus besitzen will und von – realen oder erdachten – Verschwörungen immer wieder in der fetischistischen Betrachtung ihres Leichnams (via Grabkameras) gestört wird, gehört zu den faszinierendsten Einträgen im Spätwerk des Regisseurs. Ein echter Männerfilm, das wäre zunächst anzumerken; doch Cronenberg wäre nicht Cronenberg, würde er diesen morbiden ‚male gaze‘ nicht angemessen kritisch reflektieren. Die Männer kommen tatsächlich nicht gut weg in THE SHROUDS, weder der Protagonist mit seinen Besitzansprüchen, noch sein jämmerlicher, von Eifersucht zerfressener Schwager (großartig: Guy Pearce), der diesmal den Verschwörungstopos des Films nährt bzw. diesen einer in Cronenbergs Werk bisher ungesehenen, melodramatisch-selbstmitleidigen Variation unterzieht. Wenn THE SHROUDS gegen Ende kurz zur Smartphone-Seifenoper über gekränkte Männerherzen wird, mag das irritieren, passt aber eben auch super ins Konzept. Überhaupt geht es in THE SHROUDS überraschend wenig um den Tod an sich – die Dekomposition der Ehefrau ist zwar oberflächlicher Aufhänger, doch im Kern zersetzen sich hier ganz andere Dinge. Schön zu sehen gleich in der ersten Szene, die den Mauldampf des alternden Mannes thematisiert: „Grief is rotting your teeth.“ Das Zahnarzt-Gespräch über die Fäulnis im Selbstmitleid, im egozentrischen Kreisen um sich selbst, gestaltet Cronenberg zu einem der schamvoll-körperlichsten Setpieces seines Oeuvres. Nie war Männlichkeit bei Cronenberg fragiler, abturnender, erbärmlicher.
  6. Mittlerweile übrigens auf Spotify: Ein größtenteils elektronischer Score, mit einigen verfremdeten Streichquartett-Klängen (z.B. "Wrapped in a Shroud" ab 1:56). Solo gehört etwas anstrengend, im Film durchaus wirkungsvoll - besonders gerne mag ich das "Trauer"-Thema in "Fluid of Grief". Klingt ein bisschen nach melancholischer Synthiemusik für Weltraum-B-Movies der 80er... (Die Assoziation passt sogar ganz gut zu einer Dialogzeile im Film, wo jemand meint, dass der Leichnam von Diane Krugers Figur auf den Shroud-Cam-Bildern aussieht, als würde er im 'outer space' schweben...)
  7. Ich verstehe das Problem ehrlich gesagt auch nicht. Es war ein selbstironischer Scherz - insbesondere, da Gerrit und ich uns auch schon privat über diesen Aspekt unterhalten haben. Wir werden halt nun mal alle älter und mit dem Alter eben auch immer nostalgischer und oft auch frustrierter, dass die Zeit immer schneller vergeht. Und ja, Filmmusik-Gruppen und -Foren bestehen fast nur aus Männern. Mir ist auch nicht entgangen, dass du etwas gegen mich hast. Da schwelt schon seit langem etwas, keine Ahnung, was genau, aber ich finde diese subtile Feindseligkeit schon sehr bedauernswert.
  8. Das Meiste ist nie offiziell erschienen, aber ich weiß, dass Yavar Moradi ein ganzes Archiv voller alter Radio-Mitschnitte hat, wo man Goldsmiths Musik zumindest im Verbund mit den Radio-Shows hören kann. Als ich für die Cinema Musica über Goldsmiths Gitarren-Toccata geschrieben habe, hat er mir u.a. mal die CBS-Romance-Episode "The Guitar" zur Verfügung gestellt.
  9. Zeigt ja auch nur, dass wir hier ein alternder Männerverein sind, dem die Lebenszeit durch die Finger rinnt.
  10. Dein Insistieren auf "falschem" Fokus, Logik und Erfordernissen klingt echt extrem trübsinnig. Reden wir hier über die Bestückung eines Supermarkts oder über Kunst?
  11. Natürlich muss Filmmusik im Film dramaturgisch funktional sein. Aber was spricht dagegen, wenn ein Score seine Aufgabe erfüllt und kunstvoll gestaltet ist? Denn egal, wie trist-neoliberal und kapitalistisch man die Sache auch dreht, Musik ist und bleibt eine Kunstform. Diesen Anspruch an sich selbst, nicht nur Dienst nach Vorschrift, sondern eben auch Musik zu machen, hatten Mainstream-Filmkomponisten über 70 Jahre lang. Und tatsächlich liebt sicher auch @Howard Filmmusik vor allem wegen Komponisten wie Williams, Goldsmith und Co., die ihre Profession derart ernst genommen haben.
  12. Du greifst bei sowas also direkt zu Ligeti, Strawinsky und den modernen Vorbildern? Etwas puristisch, aber dagegen ist natürlich nichts einzuwenden.
  13. Ich würde es nicht mal "Handwerk" nennen. Das klingt immer so unmusikalisch und impliziert, dass es nur etwas für Nerds und Spezialisten wäre. Ich würde eher von einem kunstvollen Umgang mit den musikalischen Mitteln sprechen. Und da geht es eben nicht nur um (prägnante) Themen, sondern auch um Klangästhetik, Kombination von instrumentalen Klangfarben, spannende Rhythmik, Dichte des Satzes, usw. usf. Ob ein Streichersatz z.B. eher dick und spätromantisch, oder kammersymphonisch-transparent ist, macht einen riesigen Unterschied, wie wir das Stück überhaupt wahrnehmen. Insofern wundert mich dieses Insistieren auf Themen, und die gleichzeitige Vernachlässigung der Detailebene. Ein Score wie Williams' WAR OF THE WORLDS gibt dir dann auch überhaupt nichts, @Howard? Dort gibt es ja auch kaum prägnantes thematisches Material, viel mehr stehen Textur und Rhythmik im Vordergrund. Ich mag Edelman auch ganz gerne, seine Musik klingt durch das fehlende Handwerk immer ein bisschen sonderbar, fast "autistisch", aber sein melodisches Gespür ist tatsächlich so gut, dass die Schwächen überstrahlt werden. Ganz seltsamer Fall, aber das macht ihn auch unverwechselbar.
  14. Was ich beschreibe, sind keine Techniken, sondern kompositorisches und ästhetisches Detail. "Music is about detail", sagt auch Elliot Goldenthal. Außerdem gibt es ein zentrales Thema, am prägnantesten zu hören in "Boat Chase". Erst als Abenteuerthema (0:06) mit optimistischer aufsteigender Geste, dann als bedrohliches, absteigendes Monstermotiv (0:26). Das Monstermotiv ist eine Abspaltung des Abenteuerthemas und zieht sich wirklich durch den gesamten Score. Natürlich sind die Themen nicht so prägnant wie bei Williams, erstens sind wir im Jahr 2025, zweitens ist JW:R ein Gareth-Edwards- und kein Steven-Spielberg-Film.
  15. Der war tatsächlich letztes Jahr schon dabei, siehe hier:
  16. Aus dem F1-Thread: Stimmt, siehe hier. Interessanterweise habe ich die Stelle gar nicht auf dem Soundtrack gefunden (zumindest nicht auf dem Spotify-Release). Die Musik zur Auftauchszene müsste ja eigentlich der Track "Ascending" sein, aber da ist dieser effektive Akkordwechsel auf dem Schnitt zu Cruise im Krankenbett nicht drin. Offenbar nur ein Film-Edit, und vielleicht auch gar nicht so komponiert - wer weiß.
  17. Würde dir da gerne zur Seite springen, aber ich höre mir solche Scores schon lange nicht mehr getrennt vom Film an. Zeitverschwendung, da meine musikalischen Interessen völlig anders gelagert sind, und nur für die Kritik am Status quo der Filmmusik möchte ich mich da nicht mehr durchquälen. Außerdem ist mein primäres Hörprojekt gerade Alfred Schnittke, da muss die (aktuelle) Filmmusik eh etwas hinten anstehen...
  18. Nach dem schweren Konzert zu dritt nun ein harmloser Spaßmacher: die polystilistische "Gogol"-Suite (1976/1980). Eine Musik voller Grimassen und Zitate.
  19. Bin noch nicht ganz durch, aber bislang wirklich sehr, sehr angetan vom Score! Desplat ist einfach der bessere Komponist für Action, Suspense und Co., da er im Gegensatz zu Giacchino Einflüsse aus der (modernen) Kunstmusik einfließen lässt. Giacchinos Referenzkosmos besteht nur aus anderen Filmmusiken - das kunstmusikalische Erbe spielt bei ihm keine Rolle. Heißt: keine bzw. wenig Modernismen, eine glatte und überraschungsarme Klangästhetik, sowie eine Harmonik, die modale Färbungen meidet. Was mir bisher aufgefallen ist: - wunderbar verspielter Einsatz der Marimba im "Opening Lab" (erste 20 Sekunden, später um 2:30!) - Desplat-"Earfuck" (3:42 in "Opening Lab"): ich liebe diese Tonhöhen-verschleiernden Mischungen aus Synths, tiefen Holzbläsern und sul ponticello-Streichern (gibt's auch oft in GODZILLA) - fast Streichquartett-artiger Klang der Streicher in den ersten Takten von "Dart Show" (Desplats luftiger kammersymphonischer Satz ist einfach enorm reizvoll, gerade im Kontext solcher Blockbuster-Produktionen) - der minutenlange Klaviersatz in "Zora and Kincaid" hat mich auch überrascht; bei Giacchino wäre spätestens ab 0:36 ein konventioneller Streichersatz dazugekommen, hier treten Streicher und Harfe erst sehr spät in gläsern-impressionistischer Manier dazu - die exzentrische Bläsercluster-Hysterie in "Mosasaur Attacks Yacht" um 1:31 muss man sich auch erstmal trauen! - in "Zora and Loomis Chat" deutet sich zu Beginn eine Passacaglia-ähnliche Struktur an; schade, dass er das nicht weiter durchzieht (trotzdem feinster Streichersatz, und herrlich, wie er später ins Williams-Thema überleitet) - alles, was die Solo-Trompete in "Boat Chase" macht - die Einfärbung des Satzes mit verschiedener Percussion in "Fins Attack - Part 1", vor allem Xylophon (schön ab 2:40), aber auch Klavier+Marimba (1:07) und Marimba solo (3:00) - "Fins Attack - Part 2" endet irritierend synkopisch (auf letzter Achtel oder Sechzehntel des Taktes, bin gerade zu faul es exakt auszuzählen - ziemlich strange^^) to be continued...
  20. Um die Diskussion mal in den passenden Thread zu holen (für künftige Generationen, die das nachlesen wollen: hier ist der andere Thread): Gefällt dir denn auch sein toller MONKEY SHINES? Der ist ja rein sinfonisch, sehr subtil und kunstvoll in der Themenverarbeitung, und hat eine unglaublich stark vertonte Eröffnungssequenz mit einem fast Schnittke-haften, dissonanten Schock auf dem Höhepunkt. Besonders schön am vorgestellten Thema finde ich, wie er Jazz-Harmonik und spätromantische Wendungen zusammenführt (besonders auffällig bei 1:45 in den Holzbläsern und Streichern, das könnte fast Strauss sein). Diese "jazzige Spätromantik" findet man so eigentlich auch nur bei ihm.
  21. Da ich Anfang des Jahres einen Aufsatz über Fielding für eine Michael-Winner-Publikation geschrieben habe und mich in diesem Rahmen wieder intensiver mit seiner Musik auseinandergesetzt habe, kann ich das recht einfach entkräften. Tatsächlich komponierten beide gerne polytonal, jedoch bezieht sich Fieldings Polytonalität auf das große Vorbild Bartók (meist parallele Quint-Klänge, die eine sehr "eigene" Klangwirkung erzielen, siehe z.B. "Pas de deux" aus THE NIGHTCOMERS oder "Indian Rodeo" aus CHATO'S LAND), während Shires polytonale Färbungen aus der Jazz-Harmonik stammen, also erstmal überhaupt keinen "E-Musik"-Sound an sich haben. Vielleicht auch ein Faktor, warum Stefan mit Shire nicht so kann? Jedenfalls muss sich hier gar niemand am anderen messen - beide haben (nicht nur im Western-Genre) völlig unterschiedlich komponiert, mit völlig unterschiedlichem Ergebnis in der Klangwirkung.
  22. Ich will dich sicher nicht zum Shire-Jünger machen. Mir ist doch völlig egal, was du anhörst oder sammelst. Aber schön, dass nun etwas mehr über Shire geschrieben wird. Das war mein Ziel. (SOMETHING FOR JOEY kenne ich selbst übrigens noch gar nicht. Bin sehr gespannt auf weitere Entdeckungen!)
  23. Das, was du beschreibst, sind Idiome und Stile, die Filmkomponisten beherrschen müssen, weil Filmmusik ihrem Wesen nach polystilistisch ist. Film A verlangt nach Jazz, Film B nach romantischer Sinfonik, Film C nach modernistischer Kammermusik. Die Handschrift eines Komponisten bestimmt sich aber nicht durch die verwendeten Stile, sondern durch Parameter wie Harmonik, Charakteristika in der Melodiebildung, Rhythmusbehandlung, etc. pp. Und allein Shires Harmonik ist so krass unverwechselbar, dass es mich wundert, dass jemand wie du, der die Ohren so gut aufmacht (siehe oben), davon überhaupt nichts merkt.
  24. Habe mich entschieden, den Sommer mal wieder ganz der Musik Alfred Schnittkes zu widmen. Höre mich derzeit durch sein komplettes Schaffen und schließe die letzten verbliebenen Lücken. Als Einstieg mal wieder eins meiner Lieblingswerke: das Konzert zu dritt für Violine, Viola, Violoncello und Streichorchester (1994). Ein ausgesprochen sprödes Werk der letzten Schaffensphase (Schnittke starb nur vier Jahre später), bei dem die ersten drei Sätze jeweils einem Solo-Instrument zugeordnet sind: der erste dem Cello, der zweite der Bratsche, der dritte der Violine. Im vierten Satz finden alle drei zusammen und liefern sich ein wütendes Gefecht. Das Werk schließt mit einem kurzen "Menuett" - ursprünglich ein eigenständiges Stück, fungiert es hier als Epilog des Konzerts. Hier der unglaublich dichte und spannungsreiche 2. Satz (Bratsche + Streicher): Und der vierte Satz, in dem alle drei Solisten zusammenfinden: erst das atemlos voranpreschende Cello; dann die Bratsche, die mehrere Male ein schmerzhaft-expressives Thema wiederholt; dann die Violine, die sich manisch in die Höhe schraubt. Dann, plötzlich, wie aus dem Nichts: ein Klaviercluster - und der Satz ist zu Ende. Und zum Schluss das "Menuett". Ein Stück für die einsame Insel. Eine der anmutsvollsten und zugleich abgründigsten Streicherkompositionen, die ich kenne. ❤️
  25. Weiß ich, und deswegen wundere ich mich, dass du jemanden wie Shire nicht ganz oben auf (d)einer "Möchte-alles-von-ihm-hören"-Liste führst. Wer hat denn in den 70ern einen ausgeprägteren Personalstil als Shire? Sein Werk ist doch eine absolute Schatztruhe, wenn man eine Vorliebe für ausgeprägte filmmusikalische Individualstile hat.
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